Silvia Eiblmayr / Talk, so that I see you! / TRANSITION, Biennal Venedig / ISBN 978-3-903172-54-8

Dieser Imperativ stammt von einem großen Denker, der Manfred Grübl viel bedeutet – und ich möchte meiner Rede diesen Satz als Motto voranstellen.

Manfred Grübl erhält heute den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg für ein Werk, durch das sich wie ein roter Faden eines zieht: Der Künstler begibt sich mit erfinderischem Geist und formalem Witz in eine kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Konventionen und Regelwerken, mit Normierungen und Verhaltensweisen, letztlich mit Herrschaftsformen, eine Auseinandersetzung, die über das Territorium des Kunstbetriebs weit hinausgehen. Es geht ihm dabei um ein – man könnte sagen – offenes Verfahren, in dem er die produktive Interaktion mit dem Leben und der Gesellschaft sucht. Er nimmt damit logischerweise einzelne Personen, allen voran sich selbst, oder eben sein Publikum ganz allgemein mit ins Spiel, was manchmal auf verschiedenen Seiten auch zu Überrumpelungs-akten führen kann, dass z.B die Ausstellungsbesucher eine Zeit lang den Galerieraum nicht mehr verlassen können. („Kidnappped Audience“, 2009). Und eines noch, wie schon angedeutet, Manfred Grübls Arbeiten sind nie tiefernst, sie haben einen Hang zu einem manchmal auch desperaten Humor, dem sich nicht zuletzt der Künstler immer wieder selbst ausliefert.

Grübl machte sich in ganz verschiedenen Rollen und Funktionen zum Protagonisten seiner Kunst, er inszenierte sich als Squash-Spieler im Wiener Künstlerhaus, („Squash“, 2013) er durchstreifte mit dem Fahrrad Los Angeles, wo er sich den Bewohnern nicht unriskant aber doch erfolgreich als Scherenschleifer anbot, („Sharpener“, 2016), er mimte den Briefträger in einem wirklich existierenden Ort namens Grübl, einen Briefträger, der die Post, die er austrägt, mitsamt Briefmarken selbst konzipiert, und der es sich gleichzeitig mit den weltweit größten politischen Kriegstreibern anlegt („Post-Post-Projekt“, 2015 begonnen), jetzt zu sehen in der Galerie im Traklhaus); zugleich ist er aber auch der „Organisator“, der „Drahtzieher“ sozusagen, der mit seinen widerständigen Ideen die institutionalisierten Bereiche infiltriert. Dazu kurz später noch mehr.

Manfred Grübl, geboren 1965, gehört zu jenen Künstlern und Künstlerinnen, die man als die 2. Generation der konzeptuellen Kunst, oder, mit dem seit Anfang der 1990er-Jahre verwendeten Begriff der kontextuellen Kunst bezeichnet. Denn, so die Prämisse, an welchem Ort und auf welche Art und Weise Kunst Bedeutung erhält, ist eben immer abhängig vom Kontext, in dem sie produziert und rezipiert wird: das betrifft die Institutionen und ihre Diskurse und, in dieser Konsequenz weiter gedacht, die politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse generell. Es geht also um erweiterte und sehr differenzierte Rahmenbedingungen, die in die künstlerische Reflexion einbezogen werden; Peter Weibel hat das 1993 im Zusammenhang mit seiner Ausstellung Kontext-Kunst. Kunst der 1990er-Jahre etwas militant so formuliert:

„Die KünstlerInnen werden zu autonomen Agenten sozialer Prozesse, zu Partisanen des Realen“

Das lässt sich durchaus auch von Manfred Grübl sagen, der damals noch mitten im Studium war. Er studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst bei Hans Hollein Architektur und an der Akademie der bildenden Künste bei Bruno Gironcoli Bildhauerei sowie bei Peter Kogler Neue Medien, Disziplinen, bei denen das Gestalterische ebenso wichtig ist, wie konstruktiv räumliches und eben auch mediales Denken, die alle zusammen immer mit dem Gesellschaftlichen verbundenen sind.

Manfred Grübl als „Agent sozialer Prozesse“ und als „Partisan des Realen“, nur einige Beispiele aus seinem umfangreichen Werk: Zwischen 1998 und 2010 taucht er mit seinem Projekt „Personal Installation“ immer wieder an internationalen höchst renommierten Kultur- oder Ausstellungsorten auf, wie z.B. dem Lincoln Center in New York, der Nationalgalerie in Berlin, oder bei Saatchi und Saatchi in London. Er schleuste bei Eröffnungen acht völlig gleich in Schwarz gekleidete Personen ein, alle geschulte Tänzer, die in einer einstudierten Choreographie über Stunden in regloser Position im Raum verharrten, den Blick nur auf den nächsten Akteur gerichtet, eine Irritation, durch die sich im Verlauf des Abends die üblichen Rituale eines solchen Society Events anders abzeichneten. Wichtig dabei ist, dass alle diese Aktionen ohne vorheriges Wissen der Veranstalter stattfanden. Grübl begab sich hier also in eine sowohl gesetzlich als auch kunst-spezifisch nicht definierte Zwischenzone, was immer eine Gratwanderung entlang der Machtverhältnisse bedeutet, die er dabei auch auszuloten versuchte. In „La Joconde“ (2010) war er selbst der Akteur an einem sakrosankten Ort, im Tabu-Bereich der durch dickes Panzerglas geschützten Mona Lisa im Louvre, der er in voller Absicht viel zu nahe getreten war, und, wie erwartet, vom bestürzten Aufseher entsprechend in die Schranken gewiesen wurde. Nicht international, sondern sehr lokal, aber ebenfalls als riskanter Testlauf gegenüber gesetzlichen Vorschriften geplant und umgesetzt, verlief „One Day Home“ (2012), ein höchst aufwändiges Vorhaben, das Grübl zusammen mit Werner Schrödl realisierte. In Wien wurde auf einem öffentlichen Platz in bester Handwerkstechnik aus Sperrmüll-Holz ein Haus gezimmert, das dann auf einem Tieflader an den Attersee gebracht und dort ein eintägiges Dasein als „Haus“, nicht, „am See“ sondern als „Haus im See“ hatte, bevor es, die Behördenaktion vorwegnehmend, von den Künstlern selbst in konstruktiven Varianten zerlegt wurde, wobei sich ein Kasten oder ein Bett dann auch zu einem Boot umfunktionieren ließen. Grübl bezieht sich auf ein früher einmal existierendes Recht, z.B. beim Gecekondu in der Türkei, das wohnungslosen Menschen gewährt wurde: Wenn sie ein Haus oder eine Hütte innerhalb einer Nacht auf öffentlichem Grund errichten konnten, durfte es stehen bleiben. Es gab in dieser Rechtsprechung also einen fast sportlichen Spielraum, den die Gemeinschaft oder auch der Staat den Armen gewährte, etwas, das in den kapitalistisch-egoistischen Kategorien von Eigentum und Verfügungsgewalt für uns heute überhaupt nicht mehr denkbar wäre.

Manfred Grübl arbeitet, wie wir sehen, mit fantasievollen ästhetischen Praktiken an unterschiedlichsten Themen. Er ist kritisch reflektierender Geist und bodenständiger Handwerker oder Dienstleister zugleich und er führt vor, wie dies in seiner Kunst zusammen gehört. 1998 gründete er die selbst finanzierte Kunstzeitschrift Version,, von der es bis heute vier Nummern gibt, die letzten drei entstanden in Zusammenarbeit mit Linda Klösel, und er gründete weiters die CD/DVD Edition KW.I., ein Label für bildende Künstler, die auch mit Sound arbeiten. Manfred Grübl stammt aus dem Lungau, aus Tamsweg, und ich denke, dass ihn die Erfahrung des ländlichen Raums, die Kenntnis und das Wissen um die dortigen Formen von Arbeits- und Lebenszusammenhängen geprägt und seinen Blick für das Alltägliche einer Gesellschaft spezifisch geschärft haben. Ich möchte an dieser Stelle John Dewey zitieren, den amerikanischen Sozialpädagogen, Philosophen und Kunsttheoretiker, der im Jahr 1934 seine weit vorausweisende Schrift „Kunst als Erfahrung“ (Art as Experience) veröffentlicht hat:

„Eine Theorie über die Stellung der Ästhetik in der Erfahrung braucht sich zum Glück nicht in Details zu verlieren, wenn sie von der elementaren Erfahrung ausgeht. {....} Das Leben spielt sich in einer bestimmten Umgebung ab; und zwar nicht nur in einer Umgebung, sondern auf Grund dieser, durch Interaktion mit ihr.“1 ZITAT ENDE Und interessanterweise schließt Dewey in diese Interaktion explizit auch das Tier ein. Jene unter Ihnen, die Grübls Arbeit kennen, werden sich jetzt schon denken, warum ich darauf zu sprechen komme. ZITAT Dewey: „Das Knurren eines Hundes über seinem Fressen, sein Heulen wenn er sich einsam fühlt {...} all das drückt aus, dass Lebendiges von einem natürlichen Medium umgeben ist, das sowohl den Menschen als auch das von ihm domestizierte Tier mit einschließt.“

Wenn Grübl mit seinem Spaniel namens Marge in eine Interaktion trat, die einen zum Lachen und zugleich zu Tränen rührte – er und Marge heulten sich abwechselnd in höchsten Tönen gegenseitig an – und wenn er diese Interaktion in den Kunstraum verlagert, öffnet er wiederum eine – durchaus philosophische – Zwischenzone, in der wir nun über unser Verhältnis zu dem „natürlichen Medium, das alles Lebendige umgibt“, – und jetzt Achtung Kalauer! – zu grübeln beginnen. Von diesen Heul-Dialogen mit Marge hat Grübl eine Schallplatten-Edition herausgegeben, die man kaufen kann.

Manfred Grübl macht, wie gesagt, den institutionellen Raum der Kunst weit auf. Eine Ranggler-Gruppe hat bei ihm ebenso Platz wie ein Hundezüchter-Verein mit zwanzig
Hunden oder ein Jagdverein, wie in seinem Ausstellungsprojekt voriges Jahr in der Kunsthalle Nexus in Saalfelden. „Personen interessieren mich mehr als das, was an der Wand hängt“, sagt er, und das heißt auch, dass er, wie er kürzlich in einem Standard-Artikel zur sozialen Lage der Künstler_innen angemerkt hat, von seinen „Kunstverkäufen allein nicht leben könnte“. Umso wichtiger ist ein solcher Preis und sind die öffentlichen Förderungen für die Kunst-schaffenden insgesamt, die der heutigen, alles verwertenden Maschinerie der
Kulturindustrie etwas entgegen zu halten haben.

„Mir gefällt seine Art, Leute in ein Gespräch zu involvieren ohne Rücksicht auf ihren Stand/Herkunft, Alter und Beruf. Er hat dabei eine Methode entwickelt die Wahrheit
heraus zu finden. Er war stets mit demselben Umhang bekleidet und ging fast immer barfuß (man sagte über ihn, er sei auf die Welt gekommen um den Schuhmachern eins auszuwischen)“.

Anmerkungen
* Laudatio anlässlich der Verleihung des Großen Kunstpreis des Landes Salzburg an den Künstler, 2018.
1 Peter Weibel, „Kontext Kunst. Zur sozialen Konstruktion von Kunst“; in: Peter Weibel (Hrsg.), Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre, DuMont Buchverlag, Köln, 1994, S. 57.
2 John Dewey, Kunst als Erfahrung, [Art as Experience, 1934], Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1980, S. 21.
3 ibid.



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