Petra Noll-Hammerstiel / Für Saalfelden / Kunsthalle NEXUS Saalfelden

KomplizInnen

Jeder Mensch ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist,
Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Joseph Beuys

Er fordert uns heraus, der erweiterte Kunstbegriff des Manfred Grübl. In seinem Anliegen, den Ausstellungsraum als sozialen, lebendigen Raum zu gestalten, durchbricht er die traditionellen Ordnungen des Betriebssystems Kunst und sorgt für kreative Verwirrung bei den üblichen ProtagonistInnen: KuratorIn, VeranstalterIn und Kunstpublikum. Sind dazu denn Vorinformationen erlaubt, gewollt oder sogar wichtig für das Gelingen? Gefragt, etwas für seinen Katalog zur Ausstellung zur schreiben, sehe ich mich als Komplizin, die eingeweiht ist und nun entscheiden kann, ob andere durch Information im Vorfeld ebenfalls zu KomplizInnen gemacht werden oder eben nicht. Ich gehöre nicht zu den VerweigerInnen, denn trotz meiner Ausführungen wird noch sehr viel offen bleiben, weil einiges uneinschätzbar ist bzw. sich erst entwickeln wird.
Der erweiterte Kunstbegriff, der sich in den 1960er-Jahren stark durchsetzte, war eine zentrale Idee von Joseph Beuys, mit dem er die Diskussion darüber, was Kunst denn sei, erweitern wollte bzw. die traditionelle Rolle des/der KünstlerIn, der RezipientInnen und des Kunstwerks radikal in Frage stellte. Das Zusammenwirken des/der KünstlerIn mit Menschen, denen Beuys allen Kreativität bescheinigte, ließ soziale Kunst entstehen. Auch der Kontakt mit den RezipientInnen wurde intensiviert, indem nicht mehr fertige Objekte präsentiert, sondern „Situationen“ geschaffen wurden, an denen die BesucherInnen teilhaben bzw. diese weiterentwickeln konnten.
Grübls Werk besteht aus Interventionen, Aktionen, Installationen, Objekten, Videos und Fotografien, mit denen er Räume schafft, die den BesucherInnen ein großes Maß an Selbstverantwortung abverlangen. Für die Kunsthalle Nexus hat er ein Konzept entwickelt, das schon im Vorfeld einige Menschen zu seinen KomplizInnen gemacht hat. Sie wurden nicht nur lange vor der Ausstellung eingeweiht, sondern tragen das Konzept auch voll und ganz mit. Er selbst versteht sich als Entwerfer des Konzepts und Initiator von Kommunikation, aber er provoziert auch den Rollenwechsel und bleibt ständig offen für Inputs. Alle im Kunstraum befindlichen Menschen sind Agierende und/oder Reagierende. Bei den in der Kunsthalle Nexus tätigen KomplizInnen handelt es sich um Mitglieder dreier Vereine aus Saalfelden, die während der Eröffnung Aktionen vorführen, die normalerweise in einem Kunstraum nicht stattfinden und zur Belebung der Kunsthalle, zur Durchmischung der Publikumsstruktur sowie zu einem neuen Zugang zur Kunst führen sollen.

Was der Künstler bereits mit crash-mat in der Galerie LukasFeichtner in Wien begonnen hat – nämlich daß die BesucherInnen gezwungen wurden, sich den Zugang zur Kunst dadurch zu erkämpften, daß sie sich von einem professionellen Wrestler buchstäblich auf die Matte legen lassen mußten –, wird in der Kunsthalle Nexus in veränderter Weise aufgegriffen. Zwei Kampfsportler in weißen Anzügen, Ranggler aus dem Salzburger Rangglerverein, zeigen auf einer Plattform mit Sportmatte Griffe und Würfe, wobei die BesucherInnen nicht direkt in die Aktion involviert werden, sondern als ZuseherInnen gefragt sind, darauf im Kunstkontext zu reagieren. Beim Kampfsport „Ranggeln“, der bis zu den Kelten zurückreicht und ursprünglich als Streitschlichtung diente, geht es darum, den Gegner mit Wurf- und Hebeltechniken auf die Schulter zu werfen. In der Nähe von Saalfelden auf dem Berg Hoher Hundstein findet jährlich in über 2000 Meter Höhe in einem natürlichen Amphitheater das Hundstoa-Ranggeln statt, das seit 2010 zum nationalen immateriellen Kulturerbe der UNESCO gehört und zu dem ein ehemaliger Ranggler, Günther Heim, ein Buch veröffentlicht hat. Und es gibt einen historischen Bezug zur bildenden Kunst: Die Heimatforscherin Ilka Peter hat für ihr Buch Das Ranggeln im Pinzgau Albrecht Dürers Fecht- und Ringbuch (1512) analysiert und festgestellt, dass viele der dort gezeigten Würfe und Griffe noch heute angewendet werden. Ob aus dem im Nexus gezeigten Kampf ein Hågmoar, Sieger, hervorgeht, ist offen. Jedenfalls wird gerungen – um die Kunst? Die Geräusche der Aufführung werden aufgenommen und mit der Plattform und den Sportmatten als Relikte des Kampfes während der Ausstellung zu hören bzw. zu sehen sein. Diese Reduktion bzw. „Verdichtung“ ist für Grübl wichtiger Bestandteil seiner Kunst.

Die zweite Aktion am Eröffnungsabend kommt vom Hundeverein SVÖ Saalfelden. Im Umgang mit Hunden hat Grübl selbst einige Erfahrung aufzuweisen. Mit seiner mittlerweile verstorbenen Hündin Marge hat er zahlreiche Kunstprojekte durchgeführt. Eine rudimentäre Aussprache im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum war eine Performance, in der Grübl die Kommunikation mit seinem Hund durch menschliches Hundegeheul initiierte und tierisches Feedback bekam. Mensch und Hund in emotionaler Kommunikation, die anderen verschlossen bleibt und dennoch berührt. Hunde kommen auch – in Begleitung „ihrer“ Menschen – in die Kunsthalle Nexus. Viele. Sie kommen als AusstellungsbesucherInnen, die zum ersten Mal mit Kunst konfrontiert werden. Normalerweise sind es Herrchen und Frauchen, die sie mit Hilfe der Hundeschule ausbilden, motivieren, in die „richtigen“ Verhaltensweisen einführen, sie willig machen für ein von Menschen geprägtes Leben in der Gesellschaft. Wie aber läuft es in der Ausstellung? Gibt es eine funktionierende Kommunikation wie zwischen den beiden eingefleischten KomplizInnen Grübl und Marge? Agieren die Hunde als eigenständige BetrachterInnen, treten sie mit anderen AusstellungsbesucherInnen in Kontakt? Schauen sie brav die Kunst an, ignorieren oder benutzen sie sie, sind sie gelangweilt oder werden sie gar unangenehm berührt? Im Vorfeld sind sie zu einem Fototermin geladen, dessen Resultat zum Ausstellungsobjekt wird und ihre Rolle, ihr Auftreten in der Ausstellung mit Augenzwinkern kommentiert.

Der dritte beteiligte Verein ist der Jagd- und Schützenverein Maria Alm aus Saalfelden. Seine Mitglieder werden im Vorfeld auf eine von Grübl vorbereitete Schützenscheibe mit einem Durchmesser von 156 cm schießen, die in der Ausstellung zu sehen sein wird. Ehren- oder Schützenscheiben sind und waren auch früher oft künstlerisch – ursprünglich meist mit Handmalerei auf Holz – gestaltet. Für die Scheibe der Ausstellung wird als Motiv ein übergroßer „Wolpertinger“ mittels Lasertechnik auf eine Holzscheibe gebrannt. Hier endet die Arbeit des Künstlers; die eigentliche Arbeit übernehmen die Schießenden, die die Scheibe in den finalen Zustand bringen – und damit letztlich zu Co-KünstlerInnen werden. Ihr „künstlerischer“ Prozeß wird dokumentiert und ebenfalls gezeigt.

Neben den zur Eröffnung gezeigten Aktionen wird es unterschiedlichste Objekte geben, die während der gesamten Ausstellung zur Interaktion bzw. Benutzung angeboten werden. Sie eröffnen Rückzugsmöglichkeiten, animieren spielerisches Handeln, stellen neue Berufsfelder vor, können Neugier, Lachen, Unverständnis oder Ablehnung auslösen – in jedem Fall aber lassen sie uns nachdenken über unsere Position im Kontext Kunst.

Go left – Go right ist eine Soundinstallation, bei der aus einem von der Decke hängenden, rotierend kreisenden Lautsprecher BesucherInnen-Gruppen kommandoartig Bewegungsanweisungen vorgegeben werden, die von irritierenden Beschimpfungen unterbrochen sind. Durch das Hin- und Herschwingen bzw. Rotieren verändert sich der Sound im Raum, was bewirken soll, dass die BesucherInnen sich direkter angesprochen fühlen. Wie das ausgeht, bleibt offen. Ärgere ich mich oder nehme ich es mit Humor? Befolge ich die Instruktionen oder bin ich verunsichert/verärgert und verlasse den Raum? Passe ich mich der Mehrheit an oder bin ich Individualist? Was wünscht sich der Künstler? Bin ich Komplize des Künstlers, wenn ich die Aufgaben erfülle oder wenn ich sie verweigere? Diese Arbeit, die das traditionell dominante Kunstsystem kritisch reflektiert, ist angelehnt an diverse Aufrufsysteme in Arztpraxen, Behörden und Bahnhöfen, die zur Steuerung von BesucherInnen bzw. KundInnen dienen. Die von Grübl erteilten Kommandos mit ihren Einwürfen lassen aber auch an eine Sprache denken, mit der beispielsweise beim Militär unter Belastungssituationen bestimmte Verhaltensmuster eintrainiert werden, die im Ernstfall unreflektiert wieder ausgeübt werden sollen. So wird die Frage gestellt, welche Eigenverantwortung Individuen in der Situation einer Ausstellung – und damit auch in der Gesellschaft – übernehmen.

Die Arbeit Sharpener (Scherenschleifer) besteht aus einem zu einer Messer- und Scherenschleifstation modifizierten Fahrrad aus den 1960er-Jahren. Bei dem ungewöhnlichen Objekt handelt es sich um ein Relikt aus einer mit einem Video dokumentierten Aktion des Künstlers, die in Los Angeles stattgefunden hat. Er ist dort von Tür zu Tür gefahren und hat seine Dienste wildfremden Leuten angeboten, was bei diesem Metier Reaktionen zwischen Freude und Angst hervorrufen kann. Mit dem umgebauten Fahrrad wurde ein autarkes, energiearmes, aus eigenen Ressourcen betriebenes Ein-Mann-Wirtschaftsunternehmen gegründet. Technisch funktioniert es so, dass ein Schleifbock über einen Gummiriemen vom Hinterrad betrieben wird. Nach der Fahrt durch Los Angeles fungiert das Rad nun als Alltags- und/oder Ausstellungsobjekt, das in alle Richtungen weiterverwendet werden kann.
Die ausgestellten skulpturalen Interventionen und Performances haben bewusst inhaltlich keine Verbindung; nur so lassen sich unterschiedlichste Reaktionen beim Publikum erreichen. Ein dominantes Teil im Ausstellungskontext ist die Begehbare Burka aus dunkelblauem, plissiertem Nadelstreif. Das Objekt setzt sich mit Sehen und Gesehenwerden, mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit auseinander. Die „Kunst“-Burka ist ein vierfach vergrößertes Exemplar des afghanischen Kleidungsstücks für Frauen; letzteres besteht aus einem mit einer flachen Kappe vernähten, über das Gesicht bis hin zur Hüfte reichenden Stofftuch sowie einem am Rücken bis zum Boden reichenden textilen Überwurf. Frauen, die mit einer Burka bekleidet sind, können nur aus einem Gitterfenster hinausschauen. Die riesige „Kunst“-Burka hat an der Stelle des Sichtfensters ein aufgesticktes arabisches Motiv und Schriftzeichen. Hinausschauen könnte man in dieser Höhe sowieso nicht. So entscheidet das eigene Bewegungsverhalten darüber, ob man schauen oder angeschaut werden möchte. Verstecken jedenfalls geht nicht. Das ist wiederum möglich in einem Paravent Intimzone Paravent, bei dem es auch um die Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit und Privatheit, Sehen und (nicht) Gesehenwerden geht. Der Paravent fungiert gleichzeitig als autonome Skulptur wie auch als Rückzugsort im Ausstellungsbereich. Es werden innen speziell angefertigte und in den Proportionen verschobene, übergroße Kleidungsstücke angeboten, die man auch zu zweit benutzen kann – wenn man denn diesen letzten Rückzugsort auch noch mit KomplizInnen betreten möchte ...

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