Gespräch: Manfred Grübl, Hans Groiss, Elisabeth Zimmermann / magazine version NR. 1

Aufnahme

MG: Das erste Statement des Manifests von Kunstradio – Radiokunst lautet: „Radio art is the use of radio as a medium for art.“ Könnt ihr das genauer erläutern?

EZ: Das Kunstradio definiert sich nicht durch Musik und kommt auch nicht aus der Musik, da gibt es viele KünstlerInnen mit allen möglichen Backgrounds, die einfach ganz anders mit Musik umgehen, weil sie diese nur als Material für ihre Arbeiten sehen. Für sie ist das Kunstradio wahrscheinlich eher guter Pool, um viele Dinge zu finden, die sich von einer notierten Kunst oder Musik schon lange entfernt haben.

HG: Kunstradio wurde von der Kulturjournalistin Heidi Grundmann und Robert Adrian X gegründet. Zuerst als Kulturberichterstattungssendung mit dem Namen Kunst Heute und bereits da hat es einen kleinen Teil gegeben, die Kunst zum Hören. Das Manifest von 1998 stammt von Robert Adrian X und es richtet sich an bildende KünstlerInnen. Als es präsentiert wurde habe ich beim Kunstradio angefangen und da steht eben zum Beispiel: „Radiokunst ist Kunst für Radio von KünstlerInnen.“ Es geht also grundsätzlich darum, dass KünstlerInnen sich für das Radio etwas ausdenken. Das Radio ist dann wie der Keilrahmen, auf dem du die Kunst machst. Das kann dann sehr divers sein. Wenn aber dieser Keilrahmen Radioapparat als Objekt relevant ist, dann ist es nicht mehr Radiokunst in dem Sinne, sondern dann wird es zur Soundart und von der wollen wir uns abgrenzen. Kunstradio macht keine Objekte. Wir präsentieren Radiokunst und diese ist eher immateriell und aktionistisch.

MG: Das ist dann aber keine Reduktion auf Beschallung, oder? In der Malerei hat es auch die Diskussion gegeben, ob die Malerei über den Rahmen hinaus geht oder der Rahmen Teil der Malerei ist. Wie verhält sich das mit eurem Keilrahmen?

EZ: Es geht eigentlich darum, dass die meisten KünstlerInnen das Radio als einen Kommunikationsraum sehen und das geht eben weit über das Senden hinaus, denn sie versuchen zu kommunizieren, Distanzen zu überwinden und eben verschiedene auf Radio basierende Technologien zu verwenden. Wir können eigentlich nur die Sendungsfläche zur Verfügung stellen, ein paar rechtliche Aspekte klären und technischen Support geben. 1990, da war ich noch in der Schule, gingen wir mit unserer Biologielehrerin zum Projekt Landscape Soundings von Bill Fontana. Das war eine Installation am Maria-Theresien-Platz zwischen Natur- und Kunsthistorischem Museum im Rahmen der Wiener Festwochen und wurde gemeinsam mit dem Kunstradio produziert. Sie hatten 16 Mikrophone in der Hainburger Au aufgebaut und die Geräusche der Vögel, Frösche und des Wassers zehn Tage lang auf diesen Platz übertragen. Es gab immer eine Leitung ins Funkhaus und alle Radiosender konnten, wann immer sie wollten, einfach hineinhören bzw. übertragen. Mit dem Wetter ging das teilweise drunter und drüber, in Wien war blauer Himmel, aber wenn die Leute aus dem Museum kamen hörten sie es donnern und spannten ihre Regenschirme auf. Das ist eine Art Überwachung, denn die Vögel hörst du vor Ort nie in dieser Form, du überwindest Distanz und baust einen neuen Raum für die Reaktionen der Menschen.

HG: Brecht hat in seinen Vorschläge(n) für den Intendanten des Rundfunks (um 1930) gemeint, man sollte das Radio von einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat verwandeln. Die Brecht’sche Radiotheorie ist manchmal umstritten. Ich mag sie sehr gerne. Er behauptete, dass eigentlich das Telefon in den 1910er Jahren schon diese ganzen Dinge, die wir jetzt im Internet haben (von dem Brecht aber noch nichts wusste), erfüllt hätte und dass das Telefon viel eher Kommunikationsapparat sei als das Radio, weil das lineare Radio nur Konzerte oder Küchenrezepte übertragen hat. Und Radiokunst ist halt durch das schon subversiv, weil es in einem herkömmlichen Medium versucht im ganz banalen alten Sinne aufklärerisch das Fenster aufzureißen.
EZ: Wir verwenden den Radioapparat und die ganzen Sendestrukturen anders und wir benutzen das Radio selbst als Instrument, um wieder neuen Inhalt zu generieren. In den 1990er Jahren haben KünstlerInnen das World Wide Web bereits benutzt, als das noch ein vergleichsweise freier Raum war, den haben sie mit dem Radio verknüpft. Das Radio war eigentlich immer da, rund um uns, weil die Wellen auch immer schon da waren. Irgendwann hat der Mensch sie entdeckt und hörbar gemacht. Das heißt, wir baden eigentlich die ganze Zeit in Frequenzen.

HG: Natürlich sind wir in ökonomische Zwänge gepresst, weil wir eine beschränkte Sendezeit haben, aber was die Leute in dieser Sendezeit machen, ist relativ frei.
Wir grenzen uns aber auch ab, manchmal mehr, manchmal weniger, zum Hörspiel oder zum Feature. Es ist wichtig sich abzugrenzen, nicht für uns, sondern für die KünstlerInnen, die für uns Sendungen produzieren. Nicht nur Sendungen, sondern auch Festivals, Ausstellungsbeiträge, unterschiedlichste Dinge.

EZ: Kunstradio war dieses Jahr an den Radio Revolten beteiligt, ein internationales
Radiokunst-Festival in Halle an der Saale, das von vier KünstlerInnen und mir gemeinsam kuratiert worden ist. Es gab ein 24-Stunden-Radio, wo KünstlerInnen einen Monat lang rund um die Uhr Radio machten und mit Unterstützung von Radio Corax – das ist das freie Radio dort – ein Haus als Festivalzentrum mit Sound- und Radioinstallationen bespielten. Und es gab jeden Abend Performances und eine Eröffnung am Marktplatz, auf dem das Erste deutsche Stromorchester mit Küchenmaschinen und diversen anderen Geräten gearbeitet hat, ein unglaublicher Event. 35 Radiostationen übernahmen das Programm teilweise und Resonance FM Extra in Brighton komplett.

HG: Eine meiner Lieblingsradiogruppen ist Ligna des FSK, Freies Sender Kombinat Hamburg, das sind TheaterwissenschaftlerInnen und Comic-ExpertInnen, die das Radioballett für sich erfunden haben. Das funktioniert faktisch wie ein Flash Mop. Man bekommt verschiedene Handlungsanweisung – ganz im Sinne von Fluxus –, die jede/jeder nach seiner Fasson befolgen kann. Und das ist dann eine politische, soziale Intervention im öffentlichen Raum. Es gibt Leute, die würden das vielleicht als Befehl verstehen, weil die Stimme mit den Handlungsanweisungen aus dem Radio kommt. Genau diesem Prozess wird meistens im Text analytisch gefolgt und nachher geht es um eine Aufarbeitung. Beim Kunstradio haben sie eine Livesendung gemacht, Nacht.Stimme.Zerstreuung (2006), in der ein Schauspieler einen Text von ihnen gelesen und die HörerInnen gebeten hat, das Radio für 5 Sekunden abzudrehen, um etwas sagen zu können, was sie nicht mitbekommen sollten. Er hat dann, glaube ich, nichts gesagt, danach meinte er: „Ich weiß genau, Sie haben das Radio gar nicht abgedreht, weil Sie so neugierig waren.“ Und da sind wir dann an einem Punkt, was Radio sein kann.

EZ: Da fühlt man sich so erwischt, ich war da ausnahmsweise zu Hause und ich habe mein Radio natürlich nicht abgedreht und dann habe ich gedacht ... oops, der sieht mich. Das war wirklich gut gemacht …

MG: Ja, das kann ich mir gut vorstellen und ich möchte das sogar noch erweitern mit der Möglichkeit der Interaktion. Bei einer Livesendung kann man ja auch zurückgerufen werden und das könnte wiederum als Manipulation genutzt werden. Wie auch immer, solche Gedanken sind sehr inspirierend. Anna Jermolaewa hat doch auch einmal ein Projekt mit dem Kunstradio gemacht?

HG: Ja, das war für Sans Frontières von Robert Adrian X und Martin Leitner, ein vielschichtiges interaktives Kommunikationsprojekt, das anhand der Saatkrähe das Thema Migration behandelte. Anna Jermolaewa ist ja aus Russland geflüchtet und hat Grüße an Freunde geschickt, die dort zurückgeblieben sind.

EZ: Anna hat sowohl das Radio als auch das Internet genutzt. Wir hatten eine Internetverbindung mit der Video- und Soundinstallation Sans Frontières (2003) in St. Petersburg, in den Schaufenstern des Internet Cafés Quo Vadis. PassantInnen, die zufällig vorbeikamen, konnten das alles mitverfolgen. Es gab verschiedenste Veranstaltungen, auch Diskussionen und Performances, die vice versa live übertragen wurden. Organisiert wurde das Festival von der Künstlerin Elisabeth Schimana.

MG: Inwieweit spielt eigentlich Aktivismus im Sinne politischer oder sozialer Intervention eine Rolle bei der Auswahl eurer Projekte?

EZ: Zum Abschluss des musikprotokolls beim Steirischen Herbst macht das Kunstradio immer den letzten Programmpunkt. Heuer performte die 1989 geborene tunesische Musikerin Deena Abdelwahed im Kunstradio live aus dem esc medien kunst labor. In ihrer Performance lässt sie ihre persönliche Haltung einfließen, auch Musik und Textmaterialien, die die inneren Widersprüche der tunesischen Gesellschaft zeigen. Sie greift auf Auszüge aus der tunesischen Verfassung und Zitate aus dem Buch Mörderische Identitäten des französisch-libanesischen Autors Amin Maalouf zurück, die sie nebeneinander stellt. Dazu erfand sie Fernsehinterviews mit tunesischen Jugendlichen. Sie selbst spielt die ältere Moderatorin, die für deren Lebensweise wenig Verständnis hat.
HG: Früher waren manchmal fünfzehn Leute im Team, jetzt sind wir schon sehr lange zu dritt mit Anna Soucek. Alles was zuerst sehr aktivistisch war, als wir auch mit den Hackern vom Chaos Computer Club zu tun gehabt haben, hat sich jetzt verschoben, in manchmal ästhetische Fragen, manchmal in sozialere Projekte und manchmal auch in Literatur. Die Stimme war zum Beispiel sehr wichtig in den letzten fünf Jahren. Das war vorher überhaupt nicht so, man hat sich sehr mit dem Phänomen der Medien als solches beschäftigt, war da sehr fokussiert, aber jetzt ist das sozial viel weiter und divers aufgerissen. Früher war der technische Aufwand enorm und wir hatten immer gebangt, ob alles funktioniert. Mittlerweile wäre es natürlich die große Aufgabe sich subversiv mit gegenwärtiger Technologie (youtube, facebook, soundcloud, tinder) zu beschäftigen, aber solche Konzepte kriegen wir nur schleppend. Ich hätte schon eine Idee, was man tun könnte: Zum Beispiel würde sich Geocashing anbieten für eine akustisch-soziale Plastik mit einer starken sozialpolitischen Komponente, die dann die Kunst vielleicht auch wieder verlässt und wirkliche Politik wird. Aber diese Konzepte sind mit viel Budget verbunden. Wenn man zum Beispiel Terror von Schirach anschaut, diese Interaktion im TV, wo du voten kannst ob der Pilot ein Mörder ist oder nicht, der 164 Leute in einem Flugzeug abgeschossen hat, um 70.000 zu retten, dann ist diese Interaktion im Fernsehen linear und man konnte entweder ja oder nein sagen. Natürlich wäre mit den Tools, die heute möglich sind, eine ganz andere Form von Radio und Vernetzung auch interaktiv möglich ...

MG: Da müsste man aber ein anders System finden. Finger rauf und Finger runter reicht da nicht aus. Das kann ja alles bedeuten und ist echt gefährlich!

EZ: Es kommt wirklich drauf an, was die KünstlerInnen bringen. Und dadurch verändert sich das Kunstradio auch ständig, weil es von den Konzepten abhängt. Bei uns war auch Meira Asher, eine israelische Künstlerin, die brisante soziale und gesellschaftspolitische Themen behandelt und bei ihrem Projekt afrikanische Frauen interviewt hat, die auf die Kanaren geflüchtet und von Prostitution und Menschenhandel bedroht waren. In der Zwischenzeit hat sie selbst einen Radiosender gegründet. Es gibt wirklich ganz unterschiedliche Themen, die vorkommen dürfen, sollen und müssen. Aber die sind dann natürlich nicht so aufgearbeitet wie in einem journalistischen Feature.

HG: Vielleicht ist das Radio ein Instrument, um die Ambivalenzen der Welt besser verstehen zu können. Von Dominik Schrage gibt es ein Buch Psychotechnik und Radiophonie über die psychischen Aspekte beim Radiohören. Er nennt es Subjeteffekte, die auftreten, wenn man einer Stimme zuhört und mit ihr in einen inneren Dialog geht. Es geht aber auch um das gemeinsame und gleichzeitige Erleben eines Publikums, das sich nicht an einem Ort befindet. Das schafft soziale Wirklichkeiten, die dann natürlich gestaltbar sind durch den Inhalt, die Dramaturgie und technische Mittel. Das Radio ist da in seiner tradierten Form sehr konzentriert. Natürlich kann Radio auch zu Gewalt genutzt werden und das ist auch gemacht worden. In Amerika hat das Darkradio meistens eher einen republikanischen und sehr restriktiven Unterton. Wenn ich meine StudentInnen frage, wo sie Radio hören, dann sagen die meisten: „Beim Kochen. Dann bin ich nicht alleine.“ Das ist nur eine Maschine, die da steht, aber dieses Gefühl wird erzeugt.

EZ: Aber man weiß auch immer, dass, wenn man selbst Radio hört, ein anderer Mensch in einer anderen Situation und im selben Moment dasselbe hört. Also ist man doch nicht alleine.

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