Claudia Cavaller / Manfred Grübl / Linda Klösel / Reflexionen zur Arbeit von Alexander Brodsky / magazine version 2

„Um mich von meinem eigenen Versagen abzulenken und zu beruhigen, zeichnete ich Ruinen.“ Alexander Brodsky

Alexander Brodsky wurde 1955 als Sohn einer Künstlerfamilie geboren, studierte am Moscow Art College und wechselte 1972 an das Moskauer Architektur-
institut. Gemeinsam mit Ilya Utkin gehörte er der russischen „Paper Architects“-Bewegung an. Ihre utopischen und fantastischen Entwürfe suchten Auswege aus der Tristesse in der Architektur der Chruschtschow-Ära und der Zeit der Stagnation unter Breschnew. In den 90er Jahren konzentrierte sich Brodsky mit Grafiken, Skulpturen und Installationen auf seine künstlerische Tätigkeit, zog 1996 nach New York und etablierte sich zunehmend in der Kunstwelt. 2000 gründete er, zurück in Moskau, sein Architekturbüro und begann mit der Realisierung von Restaurants, Einfamilienhäusern und temporären Architekturinstallationen.

C.C.: Die Pavillons im Pirogowo-Resort finde ich als Orte für Alltagsrituale, die wir mit Russland klischeehaft verbinden, wie Wodka trinken oder in die Sauna gehen, deshalb spannend, weil Brodsky damit an Traditionen russischer Datschen anknüpft. Einige Arbeiten finde ich sehr schön, geradezu malerisch, wie den Pavillon für Wodka-Zeremonien mit den alten Fenstern. Warum habt ihr ihn euch eigentlich für eine Auseinandersetzung in der Zeitung ausgesucht?

M.G.: Auf den ersten Blick haben uns der ökologische Ansatz, Fragen um Recycling in der Architektur und die Rohheit der Materialien interessiert. Es geht bei ihm ja eindeutig um das Vergängliche und inwieweit etwas in den Kreislauf wieder aufgenommen werden kann. Beim Wodka-Pavillon blättert ja schon wieder alles ab. Üblicherweise wird genau das in der Architektur ja gerade vermieden. Die Möglichkeit des Verfalls wird in der Regel verhindert. Bei Cortenstahl darf es zwar rosten, es dürfen aber keine Rostspuren bei Bewitterung entstehen. Ähnliche Phänomene gibt es auch in unseren Alltag. Es werden Dinge produziert wie zum Beispiel Kaffee, in dem kein Kaffee mehr ist oder Bier, in dem kein Alkohol enthalten ist, und vieles mehr.
C.C.: Bei Brodsky ist das aber eine Form des Recyclings, die genau die Patina hat, die etwas bedeutet und die Erinnerung an etwas anderes ist. Das was du meinst trifft in Russland wahrscheinlich noch mehr zu als bei uns. Alles muss neu sein und möglichst repräsentativ. Es gibt diese Tendenz, dass alles aus einem Guss sein muss und so etwas wie „guten Geschmack“ transportieren soll.

L.K.: Durch die Brüchigkeit haben die Pavillons eine große Individualität und sie sind nicht austauch- oder wiederholbar.

C.C.: Ja eben, wenn ich Material habe, so wie die alten Fenster, stellt sich die Frage, was ich damit mache und nicht umgekehrt. Wenn ich alte Fenster brauche, weil die Idee im Vordergrund steht, dann wird’s schwierig. Die Arbeiten von Lacaton & Vasall finde ich in diesem Zusammenhang ähnlich, aber wesentlich komplexer. Sie arbeiten üblicherweise mit als minder empfundenen, vorhandenen Materialien aus dem Baumarkt, also auch nach dem Prinzip das zu nehmen, was eben da ist. Sie erreichen damit eine sehr spezielle Ästhetik, die von Architekturelementen ausgeht. Sie schaffen sich damit einen eigenen Freiraum. Es gibt einen schönen Artikel von Lucius Burckhard, der so etwas Ähnliches sagt wie „vielleicht gehört die Zukunft den Collagisten“, also denen, die das, was industriell angefertigt wird, nehmen und etwas Eigenes daraus machen und nicht glauben einen Prozess von A-Z beherrschen zu müssen. Brodskys Ansatz ist, finde ich, romantischer, auch wenn die Materialien nicht durchwegs Ruinenfragmente sind, sondern sich mit industriellen, neuen Materialien mischen.

M.G.: Und dann geht es bei ihm auch immer um das Anpassen an die jeweilige Umgebungssituation, so wie beim Eis-Pavillon, wo ein Haus mit Gitter bei Minus-Temperaturen mit Wasser besprüht wird, oder beim Wodka-Pavillon, der weiß gestrichen in einer Winterlandschaft völlig in die Natur übergeht. Im weitesten Sinne wird die Hülle dann wieder Teil der Landschaft.

C.C.: Mich erinnert das sehr an Projekte aus den 90er Jahren, von The Poor Boys Enterprise zum Beispiel. Das sind Orte, an denen etwas inszeniert wurde, subversive Interventionen. Oder die 95 Stühle von next ENTERprise-architects. Der Anspruch ist, öffentlich wirksam zu sein, aber in Wirklichkeit ist die Nutzung eigentlich einer bestimmten Gruppe vorbehalten.

M.G.: Die Arbeiten von Brodsky sind ja oft auf einen bestimmten Event bezogen, wie z.B. Rotunda anlässlich des Kunstfestivals Archstoyanie. Bei einer punktuellen Menschenansammlung gibt es immer auch das Bedürfnis einen gewissen Überblick zu haben. Und eine Aussichtsplattform trägt diesem Bedürfnis Rechnung, ich kann rauf-, runter- oder rundherum gehen, kann durch die Fenster öffnungen schauen und habe immer wieder verschiedene Ausblicke auf das, was geschieht und die Umgebung.

C.C.: Arbeiten wie das 95º Restaurant sehen auf den Fotos so aus, als wären sie so etwas wie vernacular structures. Man glaubt, das ist ein improvisierter Stadl, wie man ihn überall an der Donau findet, etwas ohne Eltern. Ich war eigentlich ein bisschen enttäuscht, denn in Wahrheit ist das alles sehr genau durchgeplant, und das nimmt dem Ganzen den Charme. Von der Typologie her sind das zwar
Salettl oder eben russische Datschen. Aber nicht nur, dass er das Material so verwendet, er zitiert auch dieses „sich selber helfen“ mit dem, was eben gerade da ist. Wenn man genauer hinsieht könnte man sagen, das sind mit architektonischem Wissen angewandte Zitate, die einen niederschwelligen Zugang in der Nutzung bewirken sollen. Das Gemütliche, wie zuhause auf der Datsche, das Gewohnte und Beiläufige, das was einem vertraut ist, weil man es selbst auch so macht.
M.G.: Es gibt ja die Erfahrung, dass dann, wenn etwas Kante auf Kante ist und sehr genau und glatt umgesetzt, sich keiner mehr traut es zu benutzten, gibt es aber irgendwo eine Ecke die chaotisch, improvisiert oder benutzt wirkt, dann stürzen sich alle drauf und es kann etwas entstehen. Man kennt das auch von Partys, die, obwohl die Wohnung sehr groß ist, sich nur in der Küche abspielen, weil die Küche immer ein Ort ist, an dem sich alles bewegt und Chaos herrscht. Mich erinnert das an Landschaftsgärten im Barock, die Ruinen, das Verfallene, die Aussichtspunkte, die zum Verweilen einladen.

Wenn es bei Brodsky ans Eingemachte geht, wie etwa bei den privaten Wohnhäusern, das Haus am 5ten Green oder das Haus für Marat Guelman, da funktioniert das Konzept für mich gar nicht mehr. Das ist purer Postmodernismus. Häuser die eigentlich schon ein Dach haben, bekommen zusätzlich noch ein Giebeldach… da werden die Formen geltender Vorstellungen manifestiert und wiederholt. Alles ist gerade, orthogonal, einfach zu bauen. Ich weiß nicht wo das herkommt, denn es ist doch egal – vom Handwerklichen her gesehen – ob ich ein Brett schräg oder im rechten Winkel absäge. Es ist sogar so: Versucht man ein Brett mit der Hand im rechten Windel abzuschneiden, dann wird es zu 90% nicht im rechten Winkel sein. Ich denke da auch an den Aspekt etwas passieren zu lassen und damit umzugehen. In Mexiko City zum Beispiel, da verschwinden zum Teil ganze Häuser, weil die Stadt in der Lagune versinkt. Du findest dort Räume, in denen die Böden um 5-10 cm hängen, auch in halböffentlichen Orten wie Galerien. Bei uns würde man das sofort wegreißen, dort lässt man das, baut sogar noch weiter, stückelt an etc.

C.C.: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten die Konvention des rechten Winkels zu brechen. Ein möglicher Ausstieg ist das Pittoreske, den Weg geht Brodsky eigentlich. Das Windschiefe, die Ruine ... das hat alles etwas sehr Poetisches, Hingeworfenes.

M.G.: Man muss aber sagen, dass das bei ihm immer nur die Konstruktion selbst betrifft. Alles andere ist dann wieder orthogonal ausgerichtet. Etwas anderes, was mir bei ihm auffällt ist, dass es bei Brodsky, was den visionären Blick betrifft, immer um die Stadt als solches geht. Bei uns haben sich diese Fragen um die Jahrtausendwende ja genau umgekehrt gestellt, nämlich ob die Stadt in einer Zeit des Internets überhaupt noch eine Bedeutung hat. In den 90ern hat sich eigentlich jeder erwartet, dass die Stadt als Lebens- und Arbeitsraum überflüssig wird. Aber ganz im Gegenteil geht die Tendenz eher wieder in Richtung Verdichtung. Wobei der Blick darauf sich verändert hat, durch die Globalisierung ist die Stadt nur noch eine Synapse, eine Art Knotenpunkt geworden, in der einfach alles weitergeschaltet wird. Ich bin nicht mehr an die eine Stadt gebunden, sondern kann überall sein. Die Stadt ist der Knoten in einem Netzwerk, so zumindest interpretiere ich den heutigen Zugang zum Konzept Stadt. Bei einer Generation von Architekten wie Brodsky, der ja kein Digital Native ist, geht es aber immer um die Stadt als singuläre Erscheinung, um Stadtkonzepte und Erhaltung.

C.C.: Ich kann mir vorstellen, dass das in diesem Fall eine Reaktion auf eine bestimmte sowjetische Planungspolitik ist. Diese Art der Auseinandersetzung mit Stadt hat sicher etwas damit zu tun, dass sie bis in die 90er ein akut von Zerstörung bedrohter Ort war.

L.K.: Das was bei Brodsky interessant ist, ist das, was sich im Raum zwischen Kunst und Architektur abspielt. Er selbst trennt diese Bereiche ungewöhnlich streng, Brodsky der Künstler und Brodsky der Architekt, was an sich ja schon eine Frage aufwirft, nämlich die nach Überschneidung und Ausgrenzung. Die roughen Objekte, eben die Pavillons werfen Aspekte auf, die sowohl aus künstlerischer als auch architektonischer Sicht relevant sind. Diese Aspekte relativieren sich in der Kunst aber dann wieder. Koma zum Beispiel, die Tonstadt, die in Öl versinkt, hat einen extrem pathetischen und moralischen Impetus, der sich in den Pavillons nicht findet. Erinnerung und Rückbesinnung spielen eine große Rolle wie bei Grey Matter. Es gelingt ihm einfach nicht das Experimentelle, das offene Spiel von Form und Inhalt hinüberzuretten, weder in das, was er selbst als Kunst bezeichnet noch in das, was dann wirklich die belebte Architektur ausmacht, den Wohnbau zum Beispiel.

C.C.: Ich finde aber genau eine Arbeit wie Koma sehr spannend. Mich erinnert das irgendwie an Plötzlich diese Übersicht von Fischli und Weiss. Auf das Öl
hätte er verzichten können, aber formal ist das für mich gut gelöst.
L.K.: Es gibt ja Künstler, wie Rockenschaub, der sich intensiv mit architektonischen Fragestellungen auseinandergesetzt hat, wie in der Secession das Beethoven-Fries. Rockenschaub arbeitet da sehr genau mit dem Raum, setzt auch Farbe ein, um den Blick und Bewegung zu lenken. Dort wo die Architektur im Kunstkontext gelesen wird, gibt es viele Möglichkeiten Sichtweisen zu differenzieren. Brodsky macht seine Kunst zum moralischen Zeigefinger der Architektur. Auch die Arbeit, in der er eine archäologische Ausgrabung aus der Antike unter einem Gitter mit den Überresten gegenwärtiger Kriege und Konsumverhalten inszeniert, das hält meiner Ansicht nach einer zeitgenössischen Auffassung von Kunst nicht Stand. Übrig bleibt ein geschlossenes Narrativ, eine Botschaft, die uns zur Besinnung gemahnen will. Und man spürt bei ihm immer wieder eine ausgeprägt nostalgische Erhaltungsphilosophie.

M.G.: Ich verstehe auch diesen naiven Zugang nicht. Letzten Endes ist Koma doch einfach nur ein Architekturmodell mit Fenstern und Türen. Er verliert sich da in Details, die für mich völlig unnötig sind. In der Architektur nimmt er sich da sehr zurück.

C.C.: Für mich ist das kein Architekturmodell, weil er etwas abbildet, das du als ArchitektIn eben nicht zeigen würdest, weil es da meistens um ein geplantes Projekt geht und nicht die plastische Darstellung einer Stadt. Das Modell wirkt ja fast wie aus einem Märchen. Für eine/n ArchitektIn ist das immer schwierig, denn er/sie hat ja normalerweise nicht die Möglichkeit wie die Kunst, gewisse Dinge zu hinterfragen oder zu unterlaufen, weil er/sie an eine/n AuftraggeberIn gebunden ist.

M.G.: Eigentlich sind alle Gebäude, die Brodsky bis jetzt gemacht hat, eingepflanzt in die Natur, singulär, nie in einer Stadt. Auch die Lokale sind immer ein Abtauchen ins Souterrain. Ich frage mich, ob es da wirklich um Architektur geht, oder vielmehr um Natur. Beim Eis-Pavillon steht eigentlich das Eis als Idee im Vordergrund oder beim Wodka-Pavillon, dadurch dass er weiß abgetüncht ist, wird er Teil der verschneiten Landschaft, oder das Wolkencafé. Das wendet sich schon alles sehr der Natur zu. Das finde ich dann schon wieder einen interessanten Aspekt. Das Eingliedern in die Natur und wie gehe ich mit Natur um? Er verwendet vorhandene Ressourcen. Das Wasser, das Eis wird zur Architektur. Die Bäume, da hat man den Eindruck, die hat man genau dort geschlägert, um sie für Konstruktionen wie das 95º Restaurant zu verwenden. Durch das Kippen der Stämme hat man sogar das Gefühl, sie wären schon immer da gewesen. Üblicherweise ist ja alles schon so industrialisiert. Die Spanplatten kommen aus China oder sonst wo her, alles wird hin und her gekarrt. Vielleicht ist das der interessanteste Aspekt, dass man mit dem vor Ort Vorhanden arbeitet und so eine eigene Arbeit entsteht.

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