Rainer Fuchs / Manfred Grübl / Kathrin Rhomberg / Converation / ISBN 3-85486-2

Rainer
Du bist durch dein Interesse an Architektur zur Kunst gekommen. Gab es da ein Ungenügen am reinen Architekturbezug, bzw. was interessiert dich an Architektur?

Manfred
Situationen zu schaffen die man nicht gewohnt ist, und die beim Betrachter etwas auslösen. Für mich beschränkt sich Architektur nicht nur auf fixe räumliche Konstanten, sondern definiert auch eine virtuelle Ebene, in der eine individuelle Architektur perfekt simuliert und konstruiert werden kann. Man hat gelernt mit neuen Ordnungssystemen zu arbeiten und sich darin zu bewegen, so daß die Grenzen zwischen realem und imaginärem Raum mehr und mehr verwischen. Mit variablen Konstanten, wie zum Beispiel Personen, die sich im Raum befinden, lassen sich menschliche Wahrnehmungssysteme so konnotieren, daß sie sich ständig verändern und Bereiche bzw. Applikationen im Menschen aktivieren, die normalerweise im Verborgenen sind. Die reale Architektur dient dabei sehr oft nur als Bühne und tritt so auch in den Hintergrund.

Kathrin
Es gibt aber auch Arbeiten, die unmittelbar in die bestehende Architektur eingreifen. Räume, die durch Licht abgetastet bzw. gescannt werden.

Manfred
Beim „Scanner“ aber auch bei anderen Arbeiten („Analograum“, „personelle Installation“, „Jalousie“, „Rendering 03“ und Arbeiten mit reflektierenden Materialien) ist der Ausstellungsbesucher Teil der Arbeit oder Teil der Architektur. Ohne Ausstellungsbesucher würden diese Arbeiten ganz anders funktionieren, denn sie sind, einer für den anderen, der Auslöser, den jeweiligen Blickwinkel in der Sichtweise zu verändern.

Kathrin
Mit dieser Ausrichtung auf den Betrachter entziehst du den Räumen oft die Schwerkraft. So habe ich es etwa bei deiner Diplomarbeit erfahren. Durch das Scannen mittels Licht wirkt der real existierende Raum wie in einem virtuellen Raum aufgehoben.

Rainer
Beim „Scanner“ wird eigentlich der Raum ja auch ausgeblendet und dann mit einem Lichtstreifen rekonstruiert. Das Ausblenden des gesamten Raumes wird also zur Bedingung seiner Neuinterpretation und ermöglicht eine gewisse Distanz zur Vorstellung von Raum als etwas Statischem und Homogenem. Den Raum, die Architektur buchstäblich und im übertragenen Sinn in ein neues Licht zu tauchen, scheint ein wesentlicher Ansatz für deine Arbeit mit Leuchtmitteln zu sein. Aber auch wenn du mit Personen arbeitest, die nach spezifischer Anordnung im Raum situiert sind und eine eigene Beziehungs-Architektur entwerfen, eröffnen sich neue Perspektiven auf den vorhandenen Raum.

Manfred
Durch eine Veränderung der Situation der Personen im Raum ändert sich natürlich auch die Architektur. Ihre Doppelfunktion, Rezipient und Projektionsfläche, provoziert eine eigene Virtualität. Bei der Arbeit mit den Lichtscanner werden auch Personen, die in den Lichtkegel kommen, mit abgenommen ohne Unterschied zum Raum und zu anderen Dingen, die im Raum stehen und so in die Arbeit integriert. Sehr ähnlich ist es auch mit den 8 installierten Personen, wo ich von der spezifischen Situation des Vernissagenraums ausgehe, und dem etwas hinzufüge, das wiederum mit dem Publikum sehr stark verknüpft ist, so daß eine ähnliche Situation entsteht wie beim Scanner, die jedoch formal ganz anders umgesetzt ist.

Rainer
Wobei auch das Erinnerungsvermögen des Betrachters entscheidend ist, wo also der Raum auch in der Wahrnehmung als gedankliche Rekonstruktion existiert. Bei der Arbeit war es ja auch so, daß man einmal zwangsläufig in die Lichtquelle sah, wenn man selber abgescannt wurde. Es bestand so auch die Möglichkeit, daß man sich mit dem Raum identifizieren konnte. Man erfuhr, was man sozusagen in Bezug auf den Raum sah, auch an sich selbst, wenn man plötzlich vom Licht getroffen wurde. Das Konzept von Raum und Bewegung, bzw. Raum als Bewegung kennzeichnet auch die Arbeit mit den drei Monitoren und den darüber wandernden virtuellen Balken.

Manfred
Dieser Balken tastet die Monitoroberfläche ab und das kann man natürlich auch auf den Betrachter beziehen, der das Gefühl hat, registriert zu werden. Hier passiert eine Art Erweiterung der Monitorfunktion, die eigentlich nur dazu da ist, etwas wiederzugeben. Die Bewegung des Balkens ist dabei immer fortlaufend kontinuierlich, unabhängig davon wie viele Personen im Raum sind, also nicht interaktiv. Dieses System arbeitet autonom und lässt sich nicht von außen beeinflussen.

Rainer
Also eigentlich eine Umkehrung des verdunkelten Raumes, den der helle Lichtstreifen abfährt. Aber auch eine bewußte Absage an den narrativen Bilder- und Informationsfluß der Medien.

Manfred
Man ist es ja gewohnt, daß man in ein Bild eintaucht, wie es beim Fernsehen funktioniert. Man hat so dieses Gegenüber, den Film, der gerade läuft und blendet das Drumherum, das Wohnzimmer aus. In dieser Arbeit, tritt ein ähnliches Phänomen auf, wie bei einem Touch Screen, wo dem Monitor eine aktive Funktion zugewiesen wird.

Rainer
Aber so gesehen ist das auch wieder eine Interpretation von Information und Bilderflüssen durch das Nichterfüllen üblicher Informations- und Unterhaltungsnormen. Du reinigst gewissermaßen die Monitore von den vielen Bildern, um einen Denkraum über das Phänomen der Bilderflüsse zu eröffnen. Der wandernde Balken ist zwar virtuell, bewirkt aber den sehr illusionistischen Effekt einer realen Bewegung.

Kathrin
...und der wiederum einen virtuellen Raum abtastet. In diesem Zusammenhang sehe ich auch das Projekt mit den Stadtbussen in Innsbruck und die Aktion mit den Plastiktaschen in Wien, die du gemeinsam mit Elisabeth realisiert hast.

Manfred
Bei diesen beiden Arbeiten ging es uns darum mit Strukturen einer Stadt zu arbeiten, in ihren Kreislauf etwas einzubringen, das zirkuliert und sowohl benutzt als auch wahrgenommen wird. Durch die Bewegung entsteht dann ein Netzwerk, das bei den Bussen durch deren Route genau vorgegeben ist. Die Taschen wurden an Orten ausgegeben, die an der Schnittstelle von Kunst und Jugendkultur stehen. Plastiktaschen sind ja keine Gegenstände, die man einfach wegwirft, sondern sie werden sehr oft weiterverwendet und tauchen dann nach einer gewissen Zeit wieder irgendwo auf. Für uns ist es interessant, wann und wo diese Taschen wieder auftauchen, bzw. wofür sie verwendet werden und wie dieses Netz sich in der Stadt verändert.

Kathrin
Der soziologische Moment, der in diesem Projekt deutlich wird, erscheint mir für viele deiner Arbeiten wichtig. Er wird aber nur selten diskutiert. Auch bei deinem Projekt für die Junge Szene, die 1998 in der Secession gezeigt wurde, war dies ein wesentlicher Aspekt.

Rainer
Das Sichtbarmachen und Interpretieren von Strukturen kann also auf ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen beruhen. In dieser Hinsicht war dein Beitrag in der Jungen Szene (Secession 1998) ein gutes Beispiel, wobei Kunst im Spannungsfeld von Teilnahme und Ausschluß im öffentlichen Ausstellungsbetrieb thematisiert wurde, denn deine Arbeit hat darauf verwiesen, daß das Präsentieren bestimmter Künstler zugleich ein Nichtzeigen anderer Künstler ist.

Kathrin
Du hast damit aber auch gleichzeitig die Relationen und festgelegten Positionen innerhalb der Ausstellung verkehrt. KünstlerInnen, von denen die Ausstellungspraxis "Produkte" in Form von Objekten abverlangt, wurden selbst und ohne Verweis auf ihre eigenen künstlerischen Arbeiten als Bestandteile eines ebensolchen "Produktes" vorgeführt und ausgestellt. Die Arbeit thematisiert damit auch wesentliche Präsentationsbedingungen von Kunst, deren ritualisierte Rezeptionsformen eine Isolierung des Kunstwerks von der Person des Künstlers ausschließt.

Manfred
Die einzelnen TeilnehmerInnen der Ausstellung werden in meinem Video einer nach dem anderen in analoger Form wie auf einem Fließband aneinandergereiht. An die Stelle ihrer Arbeiten setze ich die KünstlerInnen ohne auf spezifische Merkmale ihrer Persönlichkeiten einzugehen.

Der im Ausstellungstitel erhobene Anspruch eine komplette Szene zu repräsentieren lässt sich ja unmöglich umsetzen. Jede Ausstellung ist eine Selektion nach bestimmten oft zu hinterfragenden Schemata. Auch der Anspruch der KünstlerInnen nach auf sich selbst reflektierenden Bedeutungen und Wichtigkeiten, die sie über ihre Arbeit transportieren, lässt sich hinterfragen.

Rainer
Du machst aber auch Arbeiten wie zum Beispiel diese Aktionen mit Personen, die du ohne Wissen der Ausstellungsveranstalter nach einem bestimmten Ordnungskonzept aufstellst und kaum wahrnehmbar über das Vernissagenpublikum interagieren läßt, indem diese Protagonisten z.B. durch Körperhaltung und Blickrichtung miteinander quasi unsichtbar verknüpft sind. Damit wird eigentlich die Ausstellung, die gewöhnlich der Gesamtrahmen für unterschiedliche Arbeiten ist, selbst zu einem Werk in deiner eigenen Arbeit. Du kehrst damit also kunstbetriebliche Verhältnisse um.

Manfred
Ich benutze den Gesamtrahmen eines Raumes bzw. eines zeitlich begrenzten Ereignisses, wobei ev. ausgestellte Werke, Besucher und der jeweilige Hintergrund des Ereignisses keine größere Bedeutung haben als die Architektur selbst.

Die einzelnen Installationen fanden unmittelbar aufeinander an drei verschiedenen Orten, Berlin, London und New York statt. Der Vorstellung dieser fast zeitgleich stattfindenden Projekte liegt der Gedanke zugrunde, dass immer dieselben Personen abwechselnd an diese drei Orte gebeamt werden und die Virtualität einer unendlichen Abfolge erzeugt werden kann. Ähnlich stehen die 8 Personen der einzelnen Systeme so in Verbindung, dass sie ein und dieselbe Person sein könnten.

Rainer
Welchen Unterschied macht es für dich, ob ein Projekt von Kuratoren bestellt wird, oder ob es eine eigenmächtig konzipierte Teilnahme ist, wie im Falle der im Vernissagenpublikum stummen Performer. Bedingen diese unterschiedlichen Ausgangspositionen grundsätzlich unterschiedliche Werkkonzepte?

Manfred
Für meine Produktion ist es kein Unterschied, ob ich mir selbst einen Raum bzw. ein Ereignis suche oder ob ich von einen Ausstellungshaus eingeladen werde eine Arbeit zu machen. Allerdings provoziert ein unerwartetes Eingreifen ganz andere Reaktionen bei BesucherInnen und AusstellungsmacherInnen als würde ich die Arbeiten im Vorfeld diskutieren oder ankündigen.

Kathrin
In diesem, wie auch in anderen Projekten arbeitest du mit äußerst reduzierten künstlerischen Mitteln, die sich eindeutig von den spektakulären Momenten in unserer Gesellschaft abzugrenzen scheinen.

Rainer
Wenn du in anderen Projekten – wie schon vorher erwähnt - deine Akteure als ruhende Pole in der bewegten Menge einer Ausstellungseröffnung positionierst bilden sie einen Kontrast zur Eventgesellschaft. Sie verkörpern eine bewußte Negation von Erlebnisqualitäten und Verhaltensweisen, wie sie für Events typisch sind.

Manfred
Gerade die personellen Installationen lassen sich erst während eines bestimmten zeitlichen Ablaufs wahrnehmen, obwohl sie schon vom Beginn der Veranstaltung an vorhanden ist. Es ist ein gegengleiches Prinzip, wo sich auf der einen Seite der Raum von den BesucherInnen entleert und gleichzeitig sich mit dieser Entleerung des Raums ein personell installierter Raum immer mehr und mehr verdichtet. Mit der letzten BesucherIn, die diesen Raum verläßt, löst sich auch dieses personelle Gebilde auf. Die sog. Eventkultur verlangt ja plakative Wiederholungen, da die ungeheuren „Datenmengen“ erst einmal verarbeitet werden müssen. Ich finde es viel interessanter Inhalte und Vorgehensweisen aufzugreifen, die wie du sagst ein Kontrast zum Vorhandenen sind. Deshalb versuche ich durch subtiles Eingreifen und minimale Verschiebungen in gewohnte Wahrnehmungs-systeme so einzugreifen, dass sich die Form der Auseinandersetzung neu konstituieren kann.

Rainer
Die klare Struktur des Werkes führt also zur Irritation konventioneller Ausstellungsbetrachtung. Anstatt sich primär an Werke einer Ausstellung zu erinnern, kann man die Ausstellung selbst als ein rätselhaftes Werk erfahren.

<<<