Peter Shen / Personal Installation / Lincoln Center, Saatchi Gallery, Neue Nationalgalerie / ISBN 3-85486-2

Bei dieser Serie von Arbeiten gibt es einige Verhältnisse, die auf den ersten Blick vollkommen klar sind. Es war eine Performance unter Beteiligung des Publikums, mit dem ein Ambiente geschaffen wurde, in dem eine umgekehrte Rollenverteilung stattfand. Die Performer blieben statisch, während die Ausstellungsbesucher sich durch den Raum bewegten und so die Dynamik und den Bewegungsfluss für die Performance lieferten. Oder war es eine Installation und das Publikum bewegte sich um die Standorte, Positionen und Gesamtheit der Performer? Die Sache stellt sich bereits anders dar, denn, indem wir die Serie von Fotografien in diesem Buch betrachten, beobachten wir wiederum jene, die an der Entstehung dieses Werkes beteiligt waren.
Die klare statische Haltung und die Kleidung der acht Personen bildeten einen Kontrast für alle, die die Installation wahrnahmen. Die statische Position ist vielleicht das erste, was auffällt, weil sich bei einer Vernissage alle bewegen und reden oder Gefährten suchen. Jemanden zu entdecken, der so still und vom Geschehen unbeeinflusst bleibt, ist außergewöhnlich. Durch das geschickte Installieren der schwarz Gekleideten mischt sich die Gruppe der Darstellenden in die Menge. Das führt dazu, dass die Performer am Anfang kaum wahrgenommen werden. Entdeckt man aber eine mitwirkende Person und dann die nächste, so wird die Wirkung weiter gesteigert durch die Frage, ob es wieder dieselbe Person ist. Wie man sich denken kann, steigert sich dieser Effekt proportional zur Anzahl der Gäste, die im Raum sind. Hier lautet die mathematische Formelgleichung: die Qualität oder Form des Erlebnisses wird über die Anzahl der anwesenden Besucher und Besucherinnen gemessen. Eine klare Demonstration des architektonischen Prinzips von „Personenfluss und räumlicher Wirkung“.
Die verschiedenen Positionen des Kunstwerkes, das gezeigt wird und sich vor Ort entwickelt, führen zu Momenten der Verwunderung und regen zur Auseinandersetzung an. Das Werk hat die Geistesgegenwärtigkeit, uns das zu zeigen, wofür wir zu blind sind. Wir, die Betrachtenden, blicken auf uns selbst. Die Realität dieser Arbeit bezieht sich auf unser Verhalten, nicht nur in Hinblick auf die Auswirkungen unseres Verhaltens, sondern auch hinsichtlich unserer Intentionen, indem das Mittel Zeit hinzukommt. Wir stehen vor der Herausforderung, zwei simple Dinge gleichzeitig zu bewältigen: offen zu betrachten und tatsächlich zu sehen. Wir sehen uns der Realität gegenüber, in der Beugung der Reflexion, worin unser Sichtfeld gebündelt wird. Die Wirklichkeit erscheint ebenso entfremdet wie wir selbst, die wir uns in Echtzeit betrachten. Die Performer werden aufgestellt und eingepasst, und rundherum bildet der Raum eine Anbindung, die zum interaktiven Spielraum für die Zuschauer wird. Man kann ihren Blickrichtungen folgen, gelangt dadurch zum nächsten Performer und nacheinander zu allen anderen. Die Koppelung der installierten Personen geht geradewegs durch Raum und Zeit und schafft einen virtuellen Raum, der das soziale Interaktionsgefüge und die Ausstellungsräumlichkeit überlagert. Die eingangs durchlässige und dezente Topographie wird mit der Zeit klarer und deutlicher. Diese Arbeit ist von der Idee und der Ausführung her einfach, das Resultat ist jedoch komplexer und raffinierter, als ich es für möglich gehalten hätte. Hier führt das Einfache zu tieferen Gedanken und Ergebnissen, und insgesamt ist diese Arbeit einfach schön.

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