Andreas Spiegl / Weirdly exclusive / TRANSITION, Biennale Vendig / ISBN 978-3-903172-54-8

Es scheint zwei Kunstbegriffe zu geben – einen Begriff von Kunst, der sich institutionell manifestiert und über eine Apparatur aus Galerien, Museen, Biennalen, Universitäten, Diskursen und Expertisen auf Seiten der Produktion und Rezeption verfügt, und einen anderen, der dem hegemonialen Anspruch oder Status dieses kulturökonomischen Netzwerks kritisch gegenübertritt. Der institutionell vermittelte Kunstbegriff nimmt für sich in Anspruch, nicht nur die Stimme für emanzipatorische und kritische Positionen zu erheben und diese zu (re-)präsentieren, sondern zugleich über die Mechanismen zu verfügen, die über den Aus- und Einschluss derjenigen Stimmen, die in diesem Netzwerk gehört werden sollen, entscheiden. Trotz aller vorgebrachten Kritik an Herrschafts- und Machtverhältnissen bedient die Auswahl und Aufnahme in dieses institutionelle Netzwerk den Anspruch aufs Exklusive. Was für wert befunden wird, in dieser Apparatur gezeigt und diskutiert zu werden, hat einen Selektionsprozess zu durchlaufen, der den einen Kunstbegriff vom anderen trennt. In diesem Sinne erscheint die institutionell vorgebrachte Kritik an Machtverhältnissen und deren gleichzeitige Fortschreibung widersprüchlich – als »exklusiver Widerspruch« eines Verfahrens, das den Integrationsprozess in das Netzwerk über ein Ausschlussverfahren regelt. Das Prinzip des Ausschließens ist dem Aufnahmeverfahren inhärent. Das Unheimliche des Exklusiven, das dem institutionellen Kunstbegriff und dessen Ökonomie anhaftet, tritt auch da und gerade dann hervor, wenn für deren Offenheit das Wort erhoben wird. Der Konjunktiv, potentiell ausgewählt und in das Netzwerk aufgenommen werden zu können, eilt jeder künstlerischen Praxis voraus und legitimiert zugleich den Selektionsprozess, der dafür sorgt, dass der Konjunktiv für den (mehrheitlich) nicht-ausgewählten Teil weniger eine Möglichkeit als die Realität darstellt: ein Leben und eine Kunst im Konjunktiv, so real und existent diese sein mögen. Dem exklusiven Widerspruch des institutionellen Kunstbegriffs entspricht so auf der Seite des anderen die widersprüchliche Symbiose von Konjunktiv und Präsens: Künstlerische Arbeiten, die sich diesem anderen Kunstbegriff zurechnen, existieren gewissermaßen inexistent, ganz real und doch nicht inkludiert, als Kunst ohne am institutionellen Kunstbegriff teilzuhaben, als Randerscheinung. Vor dem Hintergrund des institutionell vermittelten Exklusiven erscheinen diese Ränder selbst exklusiv – exkludiert vom Exklusiven.

Anstelle nun eine (stets notwendige und angebrachte) Kritik an den Ein- und Ausschlussprozessen des institutionellen Kunstbegriffs mit einer Forderung nach dessen Öffnung zu verknüpfen und auf eine Erhöhung der Anzahl und Diversität der ausgewählten Positionen zu drängen, scheint es angebracht, den Blick auf die institutionskritische Praxis zu richten, die mit manchen dieser Randerscheinungen »exklusiv« verbunden ist – mit einem Begriff von Kunst, der dem institutionellen Kunstbegriff (hegemonie-)kritisch gegenübertritt und dennoch an einem Begriff von »Kunst« festhält, der sich gerade für die Ränder interessiert, an denen die Aus- und Einschlussmechanismen, die Vereinnahmungen und Zurückweisungen explizit zum Ausdruck kommen.

Die künstlerischen Arbeiten von Manfred Grübl identifizieren diese institutionellen Ränder und Mechanismen seit Jahren. Diese Ränder sind gewissermaßen das Material, aus dem und mit dem er seine Arbeiten entwickelt.

Symptomatisch dafür ist sein Projekt »Transition« »zur« Biennale in Venedig im Jahr 2019. Sein »Beitrag« wird in keiner Publikation der Biennale auftauchen oder erwähnt (werden); aus der institutionellen Perspektive der Biennale wird es seinen Beitrag nicht einmal gegeben haben, auch wenn er direkt mit dieser verbunden war und eine Auseinandersetzung mit deren Aus- und Einschlussmechanismen ermöglichte. Er plante auf Gondeln einen temporären Steg über einen Kanal zu installieren, der es erlauben sollte, auch ohne Eintrittskarte und ohne die entsprechenden »Kanäle« zum institutionellen Netzwerk, das diese Karten für die »Vor-Eröffnung« nur an »ausgewählte« Besucher*innen verteilte, Zutritt zu dem Biennale-Gelände auf den Giardini zu erlangen: ohne Ticket, ohne Geld und ohne Verbindungen an einer Veranstaltung teilnehmen zu können, die den exklusiven Charakter des institutionellen Kunstbegriffs explizit vorführt und repräsentiert. Fotos seiner temporären Brücke waren auf facebook zu sehen und wurden gleich in der ersten halben Stunde nach dem Hochladen 10.000 mal geteilt, doch sein Projekt wird nie im Zusammenhang mit den Biennale-Beiträgen erscheinen. Aus institutioneller Perspektive hat es diesen nicht-eingeladenen und nicht-ausgewählten Beitrag nicht gegeben. Seine Intervention war in diesem Sinne existent inexistent. Existent für diejenigen, die den unerlaubten Zugang registrierten, und inexistent für die institutionelle Apparatur. Es gab keine »Einladung« zu seinem Projekt, keinen Hinweis darauf, wann und wo die Brücke installiert wird, kein Schild, auf dem der Name des Künstlers verzeichnet gewesen wäre. Ähnliches gilt für andere seiner Projekte – etwa die Choreographie für acht schwarz gekleidete Besucher bei Ausstellungseröffnung in einer Galerie, die den Auftrag hatten, nur Blicke an den nächststehenden weiter geben und während der Dauer der Eröffnung ihren Standort nicht zu verlassen: Kein Hinweis auf den Autor der nicht-angekündigten und nicht-eingeladenen Choreographie, kein Schild, auf dem der Name des Künstlers, der Intervention oder der Titel des Projekts verzeichnet gewesen wäre. Die Arbeit hat inmitten der Galerie stattgefunden und entzog sich dennoch der institutionellen Rezeption, so als hätte sie nie stattgefunden, existent inexistent, eine Randerscheinung inmitten des Eröffnungsereignisses, ein Ereignis im exklusiven Ereignis, eingeschlossen im Rahmen des Ausschlussprinzips, vom Exklusiven exkludiert. Institutionell gesehen hat Grübl in dieser Galerie oder bei dieser Ausstellung nie ausgestellt. War das Motiv bei der Ausstellungseröffnung der stereotype Charakter des Erscheinungsbildes von Ausstellungsbesucher*innen, der dafür sorgte, dass die Intervention nur bedingt registriert wurde, so waren es in Venedig die Gondeln, das stereotype Motiv touristischer Vorstellungen, die das Material für seine Installation lieferten – gewissermaßen das kitschige Gegenbild zum kunstaffinen Biennale-Publikum, der Rand, an dem die Kunstwelt endet und der Kulturtourismus beginnt.

Die Grenze des Biennale-Geländes wurde durch das Projekt von Grübl in einen perforierten oder porösen Rand verwandelt, an dem die Ein- und Ausschlussmechanismen genauso explizit zum Vorschein kamen wie jene Bereiche, die außerhalb der exklusiven Apparatur lokalisiert werden – der Kontext, von dem sich die institutionelle Politik des Ausschließens abhebt. Die Randerscheinungen, die Grübl zum Ausdruck bringt, sind nicht der Rest, der für das Exklusive nicht ausgewählt wurde und bloß um Einlass bittet, um auch die Vorteile des »exklusiven Widerspruchs« für sich in Anspruch nehmen zu können, sondern sie drängen darauf, den Kunstbegriff nicht allein mit seiner institutionellen Repräsentation zu identifizieren. Ein Blick auf die Geschichte institutionskritischer Kunst zeigt auch, wie sehr es der institutionellen Apparatur immer wieder gelungen ist, die kritischen Positionen letztlich zu integrieren ohne wesentlich die Strukturen verändern zu müssen. Haben kritische Positionen den institutionellen Selektionsprozess durchlaufen, um sich dann gestärkt mit der repräsentationspolitischen Kraft der institutionellen Stimme legitimiert zu Wort zu melden, dann geraten die vorab kritisierten Ausschlussmechanismen der institutionellen Apparatur nicht selten aus dem Sichtfeld. Die Integration vordem kritischer Perspektiven führt nicht implizit zu einer Veränderung der institutionellen repräsentationspolitischen Machtstrukturen und tendiert im Regelfall sogar dazu, den »exklusiven Widerspruch« zu affirmieren. Gerade die Biennale in Venedig mit ihren nationalen Länder-Pavillons bedient eine entsprechend nationale Repräsentationspolitik mit künstlerischen Positionen und Kunstbegriffen, die sich wohl (fast) ausnahmslos gegen nationalistische Vorstellungen von Kunst aussprechen. So können auch künstlerische Arbeiten, die explizit gegen eine Nationalisierung und die Ein- und Ausschlussmechanismen nationaler Kulturbegriffe auftreten, implizit als nationale Repräsentationen transnationaler Kulturbegriffe umgedeutet werden. Die ideologischen Aporien, die damit einhergehen, rütteln nur bedingt an den institutionellen Strukturen, die einfach fortgeschrieben werden.

Künstlerischen Arbeiten und Praktiken, die sich wie jene von Manfred Grübl gegen die institutionellen Hegemonieansprüche stellen, bringen einen Kunstbegriff zum Ausdruck, dessen Bedeutung nicht darin liegt, als namenlose und unbekannte Peripherie zwischen den verschiedenen Kunstzentren die Rolle als Konjunktiv zu spielen, sondern der die Fragwürdigkeit der Institutionalisierung von Kunstbegriffen selbst ins Zentrum rückt, auch dann, wenn diese Aufmerksamkeit den Rändern gilt, an denen die institutionellen Grenzen notwendig mit anderen Bereichen in Berührung und ins Gespräch kommen.


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