Thomas D. Trummer / Planetenorchester / Kunst am Bau Universität Linz

„Die Himmelsbewegungen sind nichts als ein ununterbrochener Gesang für mehrere Stimmen (die durch den Intellekt, nicht durch das Ohr aufgenommen werden); eine Musik, die durch dissonante Spannungen, durch Synkopen und Kadenzen sozusagen (wie sie die Menschen in Nachahmung dieser natürlichen Dissonanzen ver­wenden) zu bestimmten urbildlichen, gleichsam sechsstimmigen Schlüssen fortschreitet und dabei Marksteine in dem unermeßlichen Strom der Zeit setzt...“ — Johannes Kepler

Für ihr Projekt am Campus der JKU verwendeten Anna Jermolaewa und Manfred Grübl eine von Johannes Keplers Originalzeichnungen aus seinem Hauptwerk Harmonice mundi. Die Abbildung wurde in großem Maßstab auf die Hauptpromenade entlang des Teichufers übertragen – so groß, dass sie auch vom Universum aus wahrgenommen werden könnte. Die mit weißer Straßen- markierungsfarbe auf den Boden aufgebrachten Notenlinien teilen die Fläche in „Laufbahnen“, darauf sind die sechs zu Keplers Zeit bekannten Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Erde, Venus und Merkur sowie der Mond als ins Notensystem übertragene Harmonie abgebildet. Nach rechts hin laufen die unbeschriebenen Linien weiter und lassen so imaginären Raum für bisher unent- deckte Himmelskörper.
Mit seiner „Harmonielehre“ von 1619 stieß Kepler in eine bisher unbekannte Region der Wissenschaft vor. Sein Leitmotiv zur Welterkenntnis und Ausgangspunkt seiner philosophischen Betrachtungen ist der Gedanke einer allumfassenden Harmonie. Neben dem dritten nach ihm benannten Gesetz der Planetenbewegung ge- lang ihm in Harmonice mundi erstmalig der Nachweis von Musikgesetzen in den Planetenbahnen. Die ersten beiden Bücher des fünfbändigen Werks beschäftigen sich mit dem Begriff der Harmonie in der Mathematik, die letzten drei mit den Anwendungen dieses Begriffs auf Musik, Astrologie und Astronomie. Unter Harmonie verstand Kepler bestimmte geometrische Verhältnisse, die sich für ihn überall spiegelten – die Urbilder der universellen Ordnung. Er verwendete das Notensystem, um zu beweisen, dass die sechs damals bekannten Planeten zusammen eine Harmonie ergeben, wenn man ihre Verhältnisse zueinander in das Notensystem überträgt.
So wie Kepler einst hoch zum Himmel geschaut und versucht hat, die kosmischen Gesetze zu ergründen, so senden die Künstler seine stille Harmonie als eine Art Botschaft in Richtung Universum. Das Planetenorches- ter soll ein Statement für visionäres Denken und kreatives Forschen sein und einen grenzenlosen Raum zum Phantasieren schaffen.
Das Planetenorchester wurde als Kooperationsprojekt zwischen BIG und Johannes Kepler Universität realisiert. Bänke, dahinter Buschwerk und ein Teich. Fußgänger*- innen bewegen sich auf dieser langen, geraden Prome- nade, schlendern oder eilen zu Lehrveranstaltungen. Wie auf einer Laufbahn unterteilen schwarze Streifen den Boden in fünf gleich breite Streifen. Manchmal finden sich auch doppelte, im rechten Winkel gesetzte Striche. In einzelne Bahnen sind rundliche Zeichen, Noten eingetragen, die wie vergrößerte Handschriften wirken. An Strichstärke, Neigung und Unterschieden im Detail merkt man, dass sie ursprünglich mit der Feder gezeichnet wurden. Menschen betreten eine Partitur.
Die einzelnen Abschnitte zeigen schematisch aufgebaute Tonfolgen, es sind eher Tonleitern als melodische Bögen, simple Etüden, wenn man so will. Die Anzahl der Töne ist von Abschnitt zu Abschnitt verschieden, ebenso die Intervallsprünge. Was alle Abschnitte gemeinsam haben, ist die innere Symmetrie. Tonreihen steigen an und wieder ab. Die musikalische Treppe findet zu ihrem Anfang zurück. Und von hinten gespielt – also im Krebsgang – ergäbe sich derselbe Bogen. Richtig lesen und verstehen lässt sich das Kunstwerk nur aus der Vogelschau, aus der hypothetischen Sicht des Himmels oder sogar des Alls.
Unter den musikalischen Abschnitten stehen die Namen von Planeten, auch der Erde. Anna Jermolaewa und Manfred Grübl entwickelten für die Johannes Kepler Universität eine begehbare Würdigung ihres Namens- gebers. Sie beziehen sich auf Keplers Harmonices Mundi aus dem Jahr 1619, wo er seine Gedanken zur Sphärenharmonie ausführt. Seine Leitidee lautet, dass es eine Übereinstimmung zwischen astronomischen Mustern und musikalischen Verhältnissen gibt – ein Gedanke, der die Astronomie von Beginn an begleitet. Wenn es sich bei den Planeten um gesetzmäßige (stereometrische) Körper handelt und diese sich nach einer gesetzmäßigen (geometrischen) Ordnung verhalten, dann müssen für ihre Bewegungen die gleichen Grundlagen gelten wie für die Musik, die ihrerseits auf unveränderlichen Gesetzen beruht. Denn wer eine Saite in der Mitte teilt, wird die Oktave ihres Klanges vernehmen. Geometrie ist also gleichbedeutend mit Harmonie. Diese Idee einer inneren Stimmigkeit des Kosmischen wurde erstmals den Pythagoreern vorgebracht und durch Platon, der sie weitgehend übernahm, verbreitet. Sie taucht bei Cicero und Bartolomé Ramos de Pareja ebenso auf wie in fernen Kulturkreisen. Das All ist ein akustisch vibrierendes Gebilde, die Planeten sind Resonanzkörper, ihre Drehmomente harmonische Fügung und göttlicher Hall. Bedeutsam ist, dass das mittelalterliche Denken diese Vorstellung übernimmt, weshalb die Musik exklusiv zu den höheren Künsten gezählt wird. In der Hierarchie der Lehre bildet sie mit Astronomie und Arithmetik die so genannte Trias.
Die bildenden Künste gehörten nach damaligem Verständnis weder zu den Wissenschaften noch zu den Künsten, denn sie verbildlichen keine Gesetze und göttliche Regeln, sondern irdische Eindrücke. Für Kepler kommt die Lehre im heliozentrischen Weltbild an. Er errechnet die musikalischen Verhältnisse aus den Drehbewegungen der Planeten um die Sonne. Da Planetenbahnen elliptisch sind, gibt es jeweils einen der Sonne nächsten und entferntesten Punkt – Aphel und Perihel. In Relation gesetzt ergeben sie klare mathematische Brechungsverhältnisse, daher lassen sich aus einzelnen Rotationen Intervallbeziehungen ermitteln, zum Beispiel Terz, Quinte oder eine vollständige Ganztonreihe.
Anna Jermolaewa und Manfred Grübl zitieren für ihr Planetenorchester eine Originalzeichnung aus Keplers Buch. Maßstabsgetreu sind Mensurnotation und die Namen der damals bekannten sechs Planeten umgesetzt. Die Idee eines übergeordneten Blicks nehmen die Künstler wörtlich. Wirklich lesbar ist die Erstreckung nämlich nur aus einem überlegenen, transzendenten Augenpunkt. Somit ist die Notation eine „Botschaft in Richtung Himmel“, eine Anregung für „visionäres Denken und kreatives Forschen“ (Jermolajewa/Grübl). Durch die Entrückung nehmen sie auch klug den Gedanken der Zeitlichkeit auf. Er findet sich in den Planetenbahnen, aber auch musikalisch notiert Kepler die interplanetarische Harmonie als Tonreihe und nicht als Akkorde. Dass die Passant*innen hypothetisch also Klangbilder abschreiten oder sich in Gesänge einmengen, wird noch um die Facette reicher, dass sich ihre Schatten gleich wandelnden Zeichen auf dem Boden abzeichnen. Menschen werden zu Mensuren, ihre Schatten zu Klängen, die sich wie musikalische Gäste und ein wechselnder Diskant in die vorgeblich feste sphärische Harmonie fügen.

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