Franz Thalmair / Eingriffe, offenen Blicks / untitled. The State of the Art Magazin
Ausstellungseröffnungen haben meist etwas Befremdliches. Weder kann die Kunst, deren finaler Anstrich zelebriert werden soll, in Ruhe betrachtet werden, noch hat man der Menschenmenge halber die Möglichkeit, mehr als nur ein paar Oberflächlichkeiten miteinander auszutauschen. Weder kann sich die Aufmerksamkeit also auf den Anlass der Feierlichkeiten richten, noch kann die Eröffnungsrede der Vielschichtigkeit des gezeigten Werks Rechnung tragen oder durch zwischenmenschliche Kommunikation darüber gar Diskurs entstehen. Weder mischt sich kunstfremdes Publikum unter die BesucherInnen, noch mischen sich die einzelnen Gruppen des Kunstpublikums untereinander und die ProponentInnen bleiben in Zirkeln versammelt unter sich. Der Autofokus der Kunstwahrnehmung versucht permanent scharf zu stellen und verharrt bei diesem sonst automatisierten Prozess in einer ähnlich selbstreferenziellen Endlosschleife wie die Ausstellungseröffnung um ihrer selbst willen existiert. Vernissagen sind die Weder-Noch-Räume des Kunstbetriebs – weder Kunsträume, noch soziale Räume.
Der Absurdität dieser Situation begegnet Manfred Grübl mit der Intervention Personal Installation, die der 1965 in Salzburg geboren und in Wien lebende Künstler bereits in mehreren Ausstellungsräumen durchgeführt hat. Als Künstler uneingeladen, als herkömmlicher Ausstellungsbesucher jedoch bei Vernissagen genauso willkommen wie alle anderen BesucherInnen auch, hat Grübl weltweit und über mehrere Jahre hinweg Ausstellungseröffnungen in Räumlichkeiten wie etwa der Londoner Saatchi Gallery, dem Lincoln Center in New York, der Neuen Nationalgalerie in Berlin, der Wiener Secession, bei Sprüth Magers oder Kurimanzutto mit seinem eigenen unautorisierten Event bespielt. Acht schwarz gekleidete Personen positionieren sich für Personal Installation nach einem geometischen und in sich geschlossenen Prinzip im jeweiligen Raum. Dort bleiben die Performer regungslos und mit offenem Blick zum jeweils nächststehenden Akteur bis zum Ende der Veranstaltung stehen. „Zunächst wirken die Personen als irritierende singuläre Erscheinungen“, stellt Manfred Grübl in einem Gespräch über seine interventionistische künstlerische Praxis fest: „Je mehr sich der Ausstellungsraum aber im Laufe der Eröffnung lichtet, desto eher wird die Struktur sichtbar, die der Arbeit zugrunde liegt.“ Zuerst, wenn die Vernissage mit einer Rede über das Schaffen der ausstellenden KünstlerInnen oder über kuratorische Hintergründe ihren Höhepunkt hat und sich die meisten BesucherInnen in den Ausstellungsräumen tummeln, um die Kunst – wie eingangs behauptet – weder wirklich zu betrachten, noch darüber zu sprechen, fallen die acht Personen kaum auf. Sie fügen sich, wenn auch in Starre verhaftet, in das Treiben der Szene. Erst wenn die ersten BesucherInnen langsam wieder von der Bildfläche der Eröffnungsszenerie verschwinden, manifestiert sich der Zusammenhang zwischen ihnen.
„Vor Ort, also in den jeweiligen Städten, in denen Personal Installation stattfindet, gibt es jemanden, der das Casting übernimmt“, so Grübl über seinen Arbeitsprozess: „Es handelt sich bei den PerformerInnen immer um TänzerInnen oder SchauspielerInnen. Für jemanden, der sich nicht professionell mit seinem Körper auseinandersetzt, wäre es kaum möglich, die Körperspannung über einen Zeitraum von drei oder vier Stunden zu halten.“ Die Spannung der regungslosen und in schwarzer Kunstuniform gekleideten Körper ist es auch, die den Raum zwischen ihnen in Schwingung versetzt und schließlich als solchen definiert. Hinzukommt, dass der Künstler den orthogonalen Raum, den die PerformerInnen zwischen sich bilden, variabel einsetzt und an die architektonischen Strukturen des jeweiligen Ausstellungsraums anpasst. In der Neuen Nationalgalerie in Berlin hat Grübl etwa die durch eine Glaswand verschwimmenden Grenzen zwischen Innen und Außen durch die Positionierung der PerformerInnen analog dazu verstärkt, im New Yorker Lincoln Center kommt die räumliche Situation eines Foyers zum Tragen und in der Wiener Secession wirkt der sakrale Raum noch emblematischer. Mit den letzten BesucherInnen, die die Ausstellungseröffnung kurz vor dem Schließen des Raums durch die Angestellten der Kunstinstitution verlassen, löst sich auch Manfred Grübls Raum-im-Raum-Situation wieder auf und verflüchtigt sich ähnlich beiläufig, wie sie auch entstanden ist.
Das Intervenieren in die grundlegenden sozialen Zusammenhänge des Kunstbetriebs sowie das Unterlaufen seiner recht rigorosen Teilnahmebedingungen, das Manfred Grübl mit Personal Installation in Form lebender Skulpturen formuliert, steht auch im Zentrum weiterer künstlerischer Eingriffe. Bei Kidnapped Audience etwa konnten AusstellungsbesucherInnen den Galerieraum nur durch ein System an Schleusen betreten. Mit drei Türen, die sich, wenn man sie durchschreitet automatisch schließen und von der anderen Seite nicht wieder öffnen, verhinderte Manfred Grübl das frühzeitige Verlassen seiner Ausstellung im Inneren der Galerie. „Beim Kidnapping muss ich als Künstler damit rechnen, dass ich auch mit den Reaktionen der BesucherInnen konfrontiert werde,“ so Manfred Grübl über diese Intervention in der Wiener Galerie LukasFeichtner: „Ich zwinge die BesucherInnen, zu meinem Werk und zu mir Stellung zu beziehen – sie müssen Reaktion zeigen.“ Erst am Ende des Eröffnungsabends, wurden die verschlossenen Türen von einer Wach- und Schließgesellschaft wieder geöffnet und die BesucherInnen konnten den Kunstraum wieder verlassen.
Bei La Joconde hingegen, einer als Videodokumentation existierenden Intervention, waren es nicht die BesucherInnen, sondern ein Kunstwerk, auf das der Übergriff abzielte. „Ein paar Jahre vor dem Videodreh, habe ich bereits versucht, die Mona Lisa zu kidnappen“, schildert Grübl und erläutert die Sicherheitspolitik im so genannten Salle des Etats im Pariser Louvre: „Trotz des totalen Kameraverbots und der Unmöglichkeit irgendeine Handlung zu setzten, entstand damals ein fotografisches Portrait, bei dem mein Kopf genau den Kopf dieser Ikone verdeckt. Nach drei Jahren habe ich es dann neuerlich versucht, das Gemälde in meine Gewalt zu bringen.“ Ein gecasteter Statist hat das Sicherheitspersonal im Louvre abgelenkt, sodass sich Grübl der Mona Lisa – zumindest ein kleines Stück weit – nähern konnte. Wie das Video schließlich zeigt, führte dieser Versuch, sich ein Kunstwerk anzueignen, dazu, dass der Künstler nur wenige Sekunden später abgeführt wurde. „Nachdem die Reaktion aber nicht ganz so radikal war, wie von mir erwartet, nehme ich an, dass es sich gar nicht um das echte Gemälde handelte, sondern um eine Kopie.“
Weniger das soziale Konstrukt, das den Galerieraum umgibt und das ihn zum Teil auch trägt, als vielmehr seine materiellen Bedingungen stehen bei der Gemeinschaftsarbeit von Manfred Grübl und Werner Schrödl unter dem Titel Copy Disaster im Zentrum des künstlerischen Interesses. Die Gestaltung von Ausstellungsräumen folgt heute ungeschriebenen Gesetzmäßigkeiten, die der vermeintlichen Neutralität des White Cubes, diesem im Kunstbetrieb als Idee immer noch aufrecht erhaltenen Überraums, zuträglich sein sollen: weiße Wände, auf denen die gezeigten Kunstwerke Raum für Kontemplation beanspruchen, ein Boden, der sich so dezent gibt, dass BetrachterInnen ihn nicht einmal bemerken und eine Beleuchtung, die natürlichem Licht und somit der natürlichen Wahrnehmung entspricht. Mit Copy Disaster nehmen die beiden Künstler auf die besondere räumliche Situation der Wiener Galerie Momentum Bezug, wie Manfred Grübl erläutert: „Der Galerieraum hat etwas Seltsames. Die Deckenbeleuchtung, die vom Künstler Martin Vesely gestaltet wurde, ist sehr dominant und bestimmt die gesamte räumliche Situation in der Galerie. Diesen Aspekt haben wir schließlich auch als Ausgangspunkt für unsere Intervention genommen.“ Mit Copy Disaster haben Grübl und Schrödl das großzügige und den gesamten Galerieraum umgreifende Beleuchtungskonstrukt, ein rasterförmig angeordnetes System aus Neonröhren, verdoppelt und zu Boden gesenkt. Es handelt sich dabei jedoch nicht um die reine Wiederholung der formalen Elemente des Raums, sondern gleichzeitig um ihre Dekonstruktion, denn am Boden der Galerie befindet sich ein zerstörtes Beleuchtungssystem, das den Anschein macht, als wäre die Kopie des Originals von der Decke gekracht: Metallverstrebungen, die BesucherInnen beim Betreten der Galerie den Weg versperren und sie dazu zwingen entweder darüber zu klettern oder darunter durchzuschlüpfen, lose herumliegende Neonröhren, die ihre Funktion verloren haben, Kabel, die aus ihren Führungen hängen und schließlich Scherben und Glassplitter.
„Wenn ich eine Ausstellung konzipiere, dann geh ich immer von den BetrachterInnen aus. Ich selbst bin dabei in einer sehr glücklichen Position, ich bin Ausstellungsbesucher und Autor zur gleichen Zeit,“ hält Manfred Grübl fest: „Den Blickwechsel, den ich anlegen muss, wenn ich eine größere Ausstellung plane, erziele ich, indem ich zuerst ein Modell des jeweiligen Raums baue. Danach mache ich, wenn die Größe des Raums es erlaubt, ein 1:1-Modell. Auf diese Weise kann ich gleichzeitig zwei Rollen einnehmen und ausprobieren.“ Der Rollenwechseln zwischen Kunstproduzent und Kunstbetrachter, der sich wie ein roter Faden durch Grübls Arbeiten zieht, setzt sich schließlich auch bei X der Arbeit Untitled (Installation with a Theater Hall) fort. In diesem Fall geht der Künstler wieder von einem Raum aus, nicht jedoch vom Ausstellungsraum wie im Fall von Copy Desaster, sondern vom Theaterraum, der auf seine materiellen Bedingungen hin befragt wird. Der technische Aufwand, der die Vorführung eines Theaterstücks erst möglich macht, ist immens: Licht, Ton, Hinterbühne, Eiserner Vorhang und, wenn der jeweilige Zuschauerraum auf dem neuesten technischen Stand ist, automatisch versenkbare Bestuhlung im Zuschauerraum. Es handelt sich dabei um Elemente, die in der Regel für TheaterbesucherInnen nicht einsichtig sind. Bei Untitled (Installation with a Theater Hall) hat Manfred Grübl die BesucherInnen des Theaters über die Hinterräume auf die hell erleuchtete Bühne geführt und ihnen das Ein- und Ausfahren der Bestuhlung des Zuschauerraums vorgeführt. Ein simpler jedoch nicht minder effektvoller Eingriff, der den räumlichen und technologischen Rahmen eines Theaters in Nottingham zur Diskussion stellt und den BesucherInnen ihre eigene Rolle in selbstreflexiver Manier vorführt.
Das Interesse an technologischen Arrangements und an der Art, wie Technik Einfluss auf einen Raum und dessen Rezeption nehmen kann, wird auch bei Arbeiten wie Untitled (Installation with Horizontally Blinds) offensichtlich. Sechs horizontal angeordnete Jalousien, die Manfred Grübl entlang einer Galeriewand montiert hat, führen asynchrone Auf- und Abwärtsbewegungen aus. Mit jeder der Bewegungen verändert sich der Raum und somit auch die räumlichen Erfahrung für die Menschen, die sich in ihm aufhalten. Eine ausgefahren Jalousienfläche verdrängt die andere, je kleiner die eine Fläche ist, desto größer wird die andere und umgekehrt. Es ist ein Spiel aus Wiederholungsmustern, das BetrachterInnen als System zu identifizieren versuchen und daran scheitern. Ähnlich scheitern sie auch beim Versuch, das System der Arbeit Open - Close - No Disk zu dechiffrieren. In diesem Fall sind es keine Jalousien, die den Raum in unterschiedliche Zustände versetzen, sondern es ist eine Intervention in die Mediendisplays des Ausstellungsraum, die Manfred Grübl hier vornimmt. Zehn handelsübliche DVD-Player öffnen und schließen sich automatisch in einer bestimmten Choreografie. Das Display der Geräte zeigt jeweils an, was das Gerät gerade ausführt. „Open“ steht für das Öffnen der DVD-Schublade, „Close“ für das Schließen und sobald die Technik realisiert, dass keine DVD eingelegt wurde, antwortet sie mit einem lapidaren „No Disc“. Die beinahe menschlich wirkenden Züge dieses technologischen Gefüges, das sich vergeblich abmüht und versucht, seiner Funktion zu entsprechen, sowie die Geräusche, die die Bewegung der Schubladen beim Funktionsloop in Open - Close - No Disk erzeugen, setzten sich bei Manfred Grübls Arbeit Untitled (Speaker Sculpture) fort. Auch hier werden einzelne Geräte zu einer größeren Einheit zusammengefügt. 31 Lautsprecher sprechen zu den BetrachterInnen dieses puzzleartigen Objekts: „Saba MCS 1503 CD, JVC SP C220, Amstrad SEG 3, LG-Elektronics XAS42F, Jamo C 602, Harton / Karson, Hitachi SS-6266G, Amstrad DXS etc.“ Der Text, der zu hören ist, gibt die Bezeichnungen der jeweiligen Geräte wieder, jeder Lautsprecher hat eine bestimmte Charakteristik und dementsprechend hat auch jedes der Geräte eine bestimmte Sprechstimme zugewiesen bekommen.
Manfred Grübl arbeitet vorwiegend medien- und kontextrefelexiv. Seine Interventionen zielen auf die zahlreichen Parameter ab, die das Kunstfeld bestimmen und es zu einem teils recht hermetischen Wirkungsbereich machen. Seien dies eigens für die Kunstbetrachtung geschaffene Räume, seinen dies die sozialen Beziehungen, die sich in ihnen abspielen, seien dies die Technologien, die in ihnen zur Anwendung kommen. Ein Blick auf die Herkunft des Wortes „Subversion“ unterstreicht, dass Grübls künstlerische Praxis jedoch nicht zwangsläufig über das Verneinen von festgeschriebenen Diskursen verhandelt werden muss. Im Gegenteil, der Begriff fällt auf das semantische Feld des Ackerbaus zurück. Ähnlich wie die Subversion nämlich vom fruchtbringenden Verfahren herrührt, bei dem Erde gewendet wurde, gräbt Grübl tief in künstlerischen Zusammenhänge, um die unter dem Schein der Kunstwelt befindlichen Strukturen zu Tage zu fördern und letztlich als starr sichtbar zu machen. Selbst wenn er aber seine eigene Sichtweise, die er nicht von jener der BetrachterInnen unterscheidet, mit künstlerischen Ein- und Übergriffen, mit Ein- und Aufmischungen, mit Interventionen gegen festgefahrene Meinungen in Stellung bringt, Ausstellungseröffnungen werden immer befremdlich bleiben.