Linda Klösel / Eikon Heft 73 / ISBN 978-3-902250-61-2

An der Grenze von Intention und Wirklichkeit (ungekürzte Fassung)

Ein öffentlicher Raum definiert sich durch sein demokratisches Prinzip. Eine Intervention kann hier auf struktureller Ebene Differenzen und strukturbildende Mechanismen verdeutlichen. Entscheidend dabei ist, ob wir öffentlichen Raum eher physisch, sozial oder mental begreifen. Besuchen wir eine Ausstellungseröffnung befinden wir uns in einem sozial und kulturell codierten Raum, der zumindest teilweise öffentlich ist und gewisse Zielgruppen einschließt. Inmitten von Objekten, die sowohl mit einem ökonomischen als auch einem ideellen Wert aufgeladen sind, bewegen und verhalten wir uns nach ritualisierten Kommunikationsmustern und Stereotypisierungen. Dieser eingeübte Habitus, der Sprache, Bewegung und Kleidung mit einbezieht, unterstreicht die eingeschworene Gruppenidentität, die, ob wir das wollen oder nicht, ausschließend wirkt. Die ProtagonistInnenen dieses geschlossenen Systems, KünstlerInnen, GaleristInnen, SammlerInnen, KunstjournalistInnen etc. begegnen sich hier unter den Vorzeichen individuell ausgerichteter Zielsetzungen, um ihre Partizipation am Betriebssystem Kunst zu sichern.

Bisweilen kann es nun passieren, dass wir hier unerwartet auf eine dunkel gekleidete Person treffen, bewegungslos verharrend, in betont aufrechter Haltung. Folgt man ihrer starren Blickrichtung sehen wir eine weitere ebenso gekleidete Person, die mit derselben Haltung auf wiederum eine weitere Person blickt usw. Irritation macht sich breit. Um was handelt es sich hier? Ist dies Teil der Ausstellung? Eine Kunstaktion? Von wem? Das war doch gar nicht angekündigt. Welche Reaktion wird jetzt von mir erwartet?

Die Personellen Installationen von Manfred Grübl konfrontieren uns mit einer Situation, die spontan Handlung und Haltung einfordert, ohne dass wir die Möglichkeit hätten uns vorher einer konsensualen Zustimmung oder Ablehnung zu vergewissern. Sobald sich die Ausstellungsräume mit Menschen füllen, nehmen auch die von ihm instruierten Performer ihre Positionen ein und bilden einen bewegungslosen aber spannungsgeladenen Ereignisraum, der die Aufmerksamkeit vom ursprünglich intendierten Geschehen abzieht. Gerade ihre Erstarrung in der bewegten Masse, ihr sich den gewohnten Codes gegenläufiges Verhalten, führt uns unser Bemühen vor Augen, uns den vermeintlich vorgegebenen Regeln und Konventionen anzupassen. Der eigentliche Aufbau dieser sorgfältig durchdachten Choreografie zeigt sich mit dem zeitlichen Fortschritt des Eröffnungsereignisses immer deutlicher. Erst wenn sich der Raum allmählich leert, erkennen wir das klar strukturierte Gebilde als orthogonales System, als stabile Architektur innerhalb einer sich verändernden Menge.

Grübl’s Personelle Installationen unterlaufen die Teilnahmebedingungen des etablierten Kunstbetriebs. Zwar wählt er für seine Performances durchaus institutionell hoch renommierte Ausstellungshäuser und Galerien, wie Saatchi in London, die Secession in Wien oder zuletzt die Galerie Sprüth Magers in Berlin, doch wurde er von keiner dieser Institutionen eingeladen. Der Künstler beansprucht einfach sein demokratisches Recht, sich auch ungefragt an einem öffentlichen Ort zu äußern und zu präsentieren. Doch handelt es sich bei seinen Interventionen nicht um bloße Störaktionen, die mehr oder weniger bewusst negative Reaktionen der OrganisatorInnen und ausstellenden KünstlerInnen provozieren, sondern um einen Akt der künstlerischern Autonomie und Selbstbehauptung. Er gibt sich selbst die Erlaubnis am Betriebssystem Kunst zu partizipieren, dessen Ausschlussmechanismen oft nur schwer nachvollziehbar sind, und er entlarvt somit dessen bedeutungskonstituierende Beschaffenheit.
Institutionelle Ausstellungen sind Orte, an denen sich wirtschaftlich orientierte Auswahlverfahren, wertsteigernde Mechanismen und gesellschaftliche Konventionen des klassischen Kunstbetriebs manifestieren. Ihr elitär ausschließender Charakter bezieht sich jedoch nicht nur auf seine ProtagonistInnen sondern auch auf das Publikum selbst. Hat wirklich jeder/jede Zutritt zum System Kunst. Zeugen die Scharen von BesucherInnen medial vermarkteter Großereignisse des Kunstbetriebs tatsächlich von einem wirklichen Interesse an Kunst oder handelt es sich hierbei nicht eher um eine symbolische Identitätssuche, die dem Bedürfnis Auch-dabei-gewesen-zu-Sein folgt? In der Ausstellung Kidnapped führt Manfred Grübl sein Publikum über ein Schleusensystem in den Galerieraum. Drei Türen, die sich automatisch schließen und sich von innen nicht mehr öffnen lassen, muss der/die BesucherIn durchschreiten. Erst am Ende der Veranstaltung wird er/sie aus der unfreiwilligen Gefangenschaft wieder befreit. Die Konstruktion bildet also eine „Schwelle“, die den gesellschaftlichen Außenraum von der Innenwelt des Kunstsystems trennt. Es scheint, als müsse man sich entscheiden, denn wer die eine Realitätsebene verlässt, findet sich in der anderen gefangen. Und das kann unter Umständen einigen Mut erfordern, wenn der Weg zur Kunst nicht aufrecht beschritten werden kann. In crash-mat müssen die BesucherInnen die Kontrolle über ihren Körper in die Hände eines schwergewichtigen Whrestlers legen, der sie buchstäblich aufs Kreuz legt, bevor sie an der Eröffnung der Ausstellung teilnehmen dürfen.

Wenn sich Manfred Grübl aufmacht, um im Pariser Louvre einen Angriff auf Leonardo’s Mona Lisa vorzutäuschen, dann wagt er sich an eine Ikone der Kunstgeschichte heran, an der hermetisch abgesichert in großer Distanz die Besuchermassen vorbeidefilieren. Das Video La Joconde dokumentiert das hektische Eingreifen des Securitypersonals, das sich bemüht den Künstler zu überwältigen, in dem Moment als dieser über die Absperrung tritt, um sich dem Bild zu nähern. Grübl lehnt sich an den Diebstahl der Mona Lisa im Jahr 1911 an, der dem Werk durch den Skandal, den diese Tat auslöste, zu noch größerer Berühmtheit verhalf. Das Publikum strömte ins Museum, um sich die leere Stelle an der Wand anzusehen. Das Medienecho und der bis heute ungebremste Handel mit Reproduktionen erinnert an moderne Marketingmethoden, die Kunstwerken ihren ökonomischen Wert verleihen – erinnern wir uns nur an For the Love of God von Damien Hirst und den Wirbel um seine ausgeklügelten Wettbewerbsstrategien.

Manfred Grübl analysiert ruhig und präzise die Beziehungen zwischen Publikum, KünstlerInnen und einem Kunstbetrieb, der sich als Teil des Finanzkapitals mehr und mehr der Diskussion stellen muss, wie er mit der Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Vermittlung kritischer Diskurse und der Realität zunehmender Ökonomisierung umgehen will. Seine Aktionen sind nicht als rein subversive Opposition zu lesen, sondern stellen sehr genau die Frage nach der Bruchlinie zwischen partizipatorischer Intervention und opportunistischer Komplizenschaft.

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