Reiner Zettl / The special evening / Roulette in an outside space / ISBN 3-900803-97-8

Einmal in der Woche kam am Abend ein älterer Herr im schwarzen Anzug mit einer Aktentasche, der von den Bewohnern des Altenheims schon ungeduldig erwartet wurde. Nachdem man ihn mit einer Tasse Kaffee begrüßt hatte, sah man ihm gespannt zu, wie er allein zum großen steinernen Roulettetisch im Hof trat, seine Tasche öffnete, die Jetons herausnahm und vor sich aufstapelte. Eine Woche konnte sehr lang sein im täglichen Einerlei der immer gleichen Tage, so als würde keine Zeit vergehen hier, gäbe es da nicht den besonderen Abend, und so war es nicht verwunderlich, dass schon kurz nach Erscheinen des Gastes der Hof belebt war. Der seriöse Herr setzte den Kessel ein, den man ihm aus dem Keller gebracht hatte, und nach ein paar Probedrehungen winkte er die in Gruppen herumstehenden Interessenten zu sich heran.Jeder Teilnehmer bekam eine dieser bunten Plastikscheiben in die Hand gedrückt, und bald folgten alle mit großer Konzentration dem Lauf der schnellen Kugel und ihren unvorhersehbaren Launen. Früher war niemand je im Casino gewesen. Man hatte gearbeitet, die Familie ernährt und Kinder groß gezogen, hatte nie Zeit gehabt oder das Geld für Luxus. Der seriöse Herr flößte mit seiner Korrektheit deshalb auch nicht wenigen Respekt ein, und man fühlte sich geschmeichelt, dass so jemand hierher kam und für einige Stunden in ihren Diensten stand. Man spielte um richtiges Geld, denn diese Jetons konnte man später am Abend, bevor der Croupier wieder alles einpackte, in normale Scheine und Münzen umwechseln, und so lohnte es sich, vorsichtig mit den Einsätzen umzugehen, die Chancen abzuschätzen und zu schauen, was die Nachbarn so machten. Man redete nicht sehr viel dabei, doch lieferte der Abend Gesprächsstoff für die nächsten Tage, und manchmal erzählte man sich sehr lange von einem Abend, an dem das Unerwartete eingetreten war. All das geschah immer in der warmen Jahreszeit, wenn man auch noch spät abends im Hof sitzen konnte. Dann kam der Croupier und eine Art Sommerfrische begann. Man war in einem Kurort, ließ sich vormittags massieren und trank die Gesundbrunnen und einmal in der Woche ging man ins Casino. Man hatte ja nicht viel zu tun und keine materiellen Sorgen mehr. War es denn verwunderlich, dass man ab und zu spielte, um sich die Zeit zu vertreiben und ein wenig Aufregung zu verspüren? Müßiggang ist nicht einfach, besonders wenn man im Winter wieder zu Hause war. Dann erinnerte nur der große Steintisch im Hof, auf dem das Vogelfutter ausgestreut wurde, an einen anderen Ort, oder war es nur eine andere Zeit?

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