Dieter Buchhart / Personelle Installation / Secession

Acht schwarz gekleidete Männer stehen während der Eröffnung der Ausstellung Mary Heilmanns regungslos mit starrem Blick im Hauptraum der Wiener Secession verteilt. Sie stehen so still zwischen den BesucherInnen, dass sie beinahe den Eindruck erwecken, als handle es sich um lebensechte Puppen, Wachsfiguren als Museumsaufsichtspersonal. Je mehr BesucherInnen in den Raum drängen, desto schwerer erschließt sich deren Zahl, desto weniger werden diese als Gruppe wahrgenommen. Folgt man den starren Blicken konstituiert sich ein einfaches Blicksystem zwischen den acht Personen, das sich zu einer orthogonalen Endlosschleife verbindet, jedoch durch das vorbeigehende, stehende, gestikulierende Vernissagepublikum unterbrochen wird. Wie in einem in sich geschlossenen Stromkreis unterbricht jedes Dazwischengehen die Kontinuität des Systems. Die Interaktion des Publikums setzt den Blickkreislauf ausser Kraft. Mit zunehmender Abnahme der Besucherdichte wird die Zusammengehörigkeit der Schwarzgekleideten transparent, ihr geschlossenes System ablesbar.
Ohne Genehmigung der Veranstalter schafft der Künstler Manfred Grübl eine Intervention in ein bestehendes Austauschsystem. Der Dynamik und dem Bewegungsfluss der BesucherInnen setzt er seine „personelle Installation“ entgegen. Vergleichbar mit Vanessa Beecroft und Spencer Tunick werden hier Menschen gleichzeitig als Performer und als Installationsmaterial verwendet. Im Gegensatz zu Beecrofts oft monumentalen Formationen, sucht Grübl ein rasches Erfassen der Zusammenhänge zu unterlaufen, setzt auf Subversion. Dabei bringt der Künstler die BesucherInnen aufgrund des hohen Menschenandrangs bei Ausstellungseröffnungen in physische Nähe zu den Performern, die unbeweglich und starr ihren Platz keinesfalls verlassen und in dem flexiblen Gewebe des Vernissagenpublikums gleich Prellböcken Widerstand leisten. Sie fallen durch ihren Widerspruch zur Beweglichkeit und Gesprächigkeit der Besuchermatrix auf, verunsichern, reizen und stören. Die BesucherInnen können sich niemals an der festgelegten streng geometrischen Blickschleife beteiligen, sondern diese nur registrieren, tolerieren oder ignorieren und durch ihre Bewegungen unterbrechen.
Das Werk konstituiert sich mit vielen oder wenigen BesucherInnen auf unterschiedliche Weise. Mit wenig oder keinem Publikum bildet die orthogonale Anordnung der Performer ein architektonisches System innerhalb der Ausstellungsarchitektur, das innerhalb einer Menschenmasse nicht als solches erkannt werden kann. Die Unbeweglichkeit der Performer verleiht diesen skulpturale Qualität. Sie werden zu einem betretbaren Tableau vivant, das für die Dauer der Ausstellungseröffnung statt Zeitlichkeit sichtbar zu machen, diese ausschaltet und die Verweildauer eines inszenierten Standbildes fast ins Unerträgliche dehnt. Dabei markiert dieses als Tableau vivant eine Schwellensituation zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Betretbarkeit dieses von Menschen und deren Blicken geschaffenen Raumes, der zugleich ein Tableau vivant ist, beteiligt die Besucherinnen an der Ausbildung des Werkes. Das Vernissagenpublikum löst bei hoher Dichte die personelle Installation visuell auf, setzt das streng vorgegebene System außer Kraft. Grübl verweist, dass es „sich um ein und diesselbe Person handeln könnte, die sich acht Mal im Raum befindet, eine Art Replikation, die auf ihre örtlichen und gesellschaftlichen Systeme anspielt.“1 Eine Replikation ist jedoch ausgeschlossen, da sich die Performer trotz einheitlicher Kleidung physiognomisch nicht gleichen, und die Wahrnehmung dieser Personen aus der unmittelbaren Nähe erfolgt, diese keinesfalls entindividualisiert perzipiert werden.
Das Konzept der personellen Installation hat Grübl seit 1999 bereits im Lincoln Center in New York, der Saatchi Gallery in London und der Neuen Nationalgalerie in Berlin realisiert. Die verbleibenden dokumentarischen Fotografien verweisen auf das sehr unterschiedliche Zusammenspiel zwischen Blickschleife, Ausstellungsarchitektur und Publikum. Die Bewegungen der BesucherInnen werden durch meist lange Belichtungszeiten auf die Fotos übertragen. Die verschleifenden Konturen vieler BesucherInnen stehen entgegen den unbeweglichen klar abgegrenzten Körpern der Performer. Grübl überträgt den Gegensatz des flexiblen Gewebes des Vernissagenpublikums und der skulpturhaften Starrheit der acht schwarzgekleideten Männer in seine Fotografien. Wieso dieses Blicksystem ausschließlich männlich konstituiert wird, bleibt offen. Die subversive Intervention scheint jedoch geglückt und verweist auf Grübls Arbeiten, die stets auf sein Interesse an architektonischen und bewegten Räumen und den Relationen von Körper und Raum verweisen.

1 Manfred Grübl: Grübl, Triton Verlag, Wien 2002, S. 65.

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