Maia Damianovic / A Night’s Journey into Light / ISBN 3-85486-2

Im Rahmen des Ausstellungsprojekts The Invisible Touch, das vom Kunstraum Innsbruck letztes Jahr veranstaltet wurde, entschieden sich Manfred und Elisabeth Grübl dafür, traditionelle Darstellungsformen zu umgehen und stattdessen Kunst in direkter Beziehung zur Realität des urbanen Alltags zu erforschen. Die Arbeiten – ein Projekt unter dem Titel Nightliner und zwei weitere Events, die in Lokalen stattfanden – stellten in ihrer interessanten Eigenart die gängigen Formen des Betrachtens und Erlebens von Kunst in Frage und boten unterschiedlichen Zielgruppen die Möglichkeit, aktiv an zeitgenössischer Kunst teilzuhaben.

Das Projekt Nightliner befasste sich mit einer speziellen gesellschaftlichen Gegebenheit in Innsbruck, nämlich der unter Jugendlichen weit verbreiteten Gewohnheit, den Nachtbus zu benutzen. Manfred und Elisabeth Grübl beleuchteten den Innenraum von drei Bussen mit tiefblauem Licht. Die leuchtende Präsenz war so ansprechend, dass die Stadtverwaltung beschloss, die drei veränderten Fahrzeuge im Normalbetrieb zu behalten. Die blau beleuchteten Busse, die wie schwerelos durch die Nacht glitten, waren spektakuläre Doppelgänger, die sich durch ihr interessantes Erscheinungsbild von den regulären Gegenstücken abhoben. Das Blau, das das Fahrzeuginnere durchflutete und auf den umliegenden Asphalt fiel, verlieh den Bussen eine seltsame Faszination inmitten der nächtlichen Normalität der Stadt. Das Projekt Nightliner zeigte, wie sich ein Kunstwerk auf sein Publikum zubewegen kann. Indem die blauen Lichtstrahlen in die schwarze Nacht geschickt wurden, entstand etwas Außergewöhnliches: Funktion vermengte sich mit Fiktion, Realität mit Repräsentation. Der Bus wurde zum lebendigen, bewegten Tableau. Die „interaktive Kunst“ wurde in den letzten Jahrzehnten oft gepriesen. In der Praxis war sie jedoch kaum mehr als eine theoretische Marke, wobei Theorie und Praxis immer weiter auseinander klaffen. Auch heute noch steht eine Vielzahl von Kunstwerken unter dem Einfluss von modernistischer Ästhetik und konzeptuellen Präsuppositionen, die der echten Interaktion wenig Raum belassen. Nightliner wiederum stellte eine konkrete Verbindung zu einer sozialen Realität in Innsbruck her und belegte somit, dass Kunst ihr Zielpublikum in einer nichtdidaktischen Realität erreichen kann. Dabei ist das Kunstwerk keineswegs isoliert, Nightliner war – trotz seiner faszinierenden Präsenz – einfach ein Busservice für die Menschen in Innsbruck. Die Möglichkeit zur Interaktion war zwar ein wesentliches Element, doch nicht das einzige Mittel, mit dem Elisabeth und Manfred Grübl das Publikum beteiligen wollten, das zudem eher Anregungen als Hinweise erhielt. Es gab keine didaktischen Erläuterungen zum Wesen von Nightliner, und so waren die Leute beim Anblick des stechenden Lichts, das die Busse umstrahlte, oft einfach nur erstaunt. Mit einfachsten technischen Mitteln und Materialien – blaue Leuchtstoffröhren, die anstelle der weißen montiert wurden – gelang es den Grübls mit dieser Arbeit, ein breites Spektrum der Bevölkerung in ein einziges kreatives System einzubinden: Menschen, die eigentlich nicht in eine Galerie gehen oder sich als Teil des Kunstpublikums betrachten würden, nahmen teil an einer die ganze Stadt umspannenden Fahrt durch die Nacht.

Manfred Grübl entwickelte zwei weitere Projekte, die in Innsbrucker Szenelokalen umgesetzt wurden, wobei sich die Interaktion vorwiegend auf die Initiative und Eigenständigkeit der teilnehmenden Personen stützte. Beim ersten Projekt erhielten Teenager im Innsbrucker „Hafen“ 700 gelb fluoreszierende Armbänder, wie sie in der Rave-Szene getragen werden. Es entstand ein erstaunliches Szenario, in dem zu beobachten war, was man mit einem simplen Armband mit Klettverschluss alles anfangen kann: Einige kreierten Gürtel und Stirnbänder oder andere Accessoires, andere schwangen ihre Bänder in die Höhe und zogen in der aufgeheizten Atmosphäre eine Vielzahl von halluzinogenen Lichtspuren durch die Luft. Für den zweiten Event, dessen Klientele geringfügig älter war, stellte der Künstler eine limitierte Auflage von vierzig fluoreszierend gelben T-Shirts her. Diese wurden von den Personen getragen, die sich im Dunkeln des Clubs in ein bewegliches Körperkunstwerk verwandelten, wobei die reflektierenden T-Shirts die Tanzbewegungen jeweils als Bildspur nachzeichneten. Der Effekt erinnerte an Elemente in den Arbeiten der brasilianischen Neokonkreten Hélio Oiticica und Lygia Pape. Die T-Shirts gehen auf Oiticicas farbenprächtige parangolé-Umhänge und sein Verständnis vom Körper als sinnlich lebendige Skulptur zurück, und das im spielerischen Kollektiv geschaffene Kunstwerk erinnert an Lygia Papes Projekte mit den riesigen aufgeschlitzten Stoffen.
Grübls Arbeiten, die vom Künstler zwar sorgfältig inszeniert werden, besitzen – ob es sich nun um Aktion, Installation oder Videokunst handelt – ein dynamisches Moment, das eine Welle an Zuschauerreaktionen bewirken kann. Sowohl Nightliner als auch die fluoreszierenden Kleidungsstücke fördern den flexiblen Umgang mit Kunst, und so erreichen die attraktiven, vielschichtigen und vergnüglichen Projekte in ihrem Verlauf eine weit über gebildete oder „initiierte“ Kunstkreise hinausgehende Öffentlichkeit.
Während die Metapher, die Erzählung oder die Vermittlung tieferen Sinns großteils ausgeklammert bleiben, handelt es sich bei Grübls Aktionen um offensive Kunst, die einer breiteren Gesellschaft auf umsichtige Weise nähergebracht werden soll. Die Arbeiten dienen nicht nur der allgemeinen Erbauung, sondern werden brauchbarer Teil einer sozialen Realität. Grübls Arbeiten entsprechen der neuen postkonzeptuellen Kunstpraxis, die auf das Erlebnis und das Spiel setzt und uns dazu einlädt, die vergnügliche Seite der Kunsterfahrung auszuprobieren. Genauso wie Marcel Duchamp und Jean Arp das vergnüglich-verspielte Kunstexperiment begrüßten, bestätigt die jüngste Generation von Künstlern und Künstlerinnen diesen Weg von neuem.

In einer Serie von drei Projekten unter dem Titel Personal Installation ließ Manfred Grübl steife Präsentations- und Ausstellungsmethoden hinter sich, um die Betrachterinnen und Betrachter auf eine andere kreative Ebene zu führen. Auf größeren öffentlichen Veranstaltungen, die in den spätmodernen Räumlichkeiten der Neuen Nationalgalerie in Berlin, der Saatchi Gallery in London und der Lobby des Lincoln Center in New York stattfanden, standen acht den Konventionen entsprechend in Schwarz gekleidete Menschen bewegungslos da. Mit Personal Installation verließ Grübl den stereotypischen „institutionalisierten“ Rahmen zu Gunsten einer gewagteren Ausgangsposition, in der der Künstler das Übliche durch das Außergewöhnliche ersetzte. Grübl unterstützt das Prinzip der unmittelbaren Kunsterfahrung, räumt aber auch ein, dass sich die Vermittlung – die Mitteilung des Sinns – schwierig gestaltet. Die Frage nach der Vermittlung steht im Zentrum des Diskurses – nicht nur im Bereich der Kunst, sondern gerade auch im gesellschaftlichen Kontext, da viele Aspekte unseres sozialen, wirtschaftlichen und politischen Alltags der zunehmenden Manipulation und Imagebildung durch alle Arten von Interessengruppen unterliegen. Die zuverlässige Weitergabe von Bedeutung – ästhetischer, intellektueller oder anderer Art – ist somit schon verdächtig geworden. Gegenwärtig sehnt sich die Gesellschaft allerdings wieder verstärkt nach Sinngebung und Erklärungsmodellen. Viele Aspekte unseres Lebens – von der Bereitstellung von Informationen über Verhaltensregeln in der Arbeitswelt bis zur Herstellung, Verkaufsförderung und dem Vertrieb von Produkten – unterliegen einem Standarisierungsverfahren, das die persönlichen Facetten der Realität erodiert: So sehen also die Früchte der Globalisierung aus. Grübls Projekte greifen die gegenwärtige Krise in der Vermittlung auf, indem sie einen breiten Teil der Öffentlichkeit, der nicht in der „behüteten“ Kunstwelt zu Hause ist, ansprechen und die Menschen zu ganz persönlichen Reaktionen ermutigen. Auf den ersten Blick mögen die Werke den Betrachtenden zwar seltsam oder verwunderlich, verspielt oder charmant vorkommen, doch im nächsten Augenblick können sie uns bereits dazu verführen, ihren nomadenhaften Windungen zu folgen, um zu einer sehr persönlichen neuen Einschätzung vom Realismus in der zeitgenössischen Kunst zu kommen.

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