Eva-Maria Bechter / Humans as an art-passant / ISBN 3-9502072-1-X
Nicht der aktionistische Körpereinsatz und auch nicht das malerische Modellstehen zeichnen die Aktionen der einzelnen Personen im Werk von Manfred Grübl aus. Eher zufällig tritt der Kunstkonsument über die Schwelle – und wird Teil des Kunstwerkes.
In „Ausführer“, „Auslöser“ und „Mitspieler“ lassen sich die Betrachter von Manfred Grübls Arbeiten gliedern. Von ihm verpflichtete Akteure fordern vom Besucher, beziehungsweise vom Staat und der Gesellschaft, eine Reaktion. In seiner Arbeit „Personelle Installation“ stellt Manfred Grübl eine gewisse Anzahl schwarz gekleideter Personen in den öffentlichen Raum eines Museums. Durch ihre Ausrichtung bilden sie ein – für den „normalen“ Besucher auf den ersten Moment undurchschaubares – in sich geschlossenes orthogonales Netz. Die Aktion findet, ohne Absprache mit der Institution, während einer Vernissage statt und verwandelt so den Kunstbetrachter gleichsam semi-heimlich zum Teilnehmer eines Kunsthappenings. Hat dieser die Aktion durchschaut, werden die menschlichen Statuen keinerlei Aufklärung bringen, denn von ihnen wird strengstes Stillschweigen gefordert.
In seiner ersten Einzelausstellung in der lukasfeichtner galerie in Wien verbindet Manfred Grübl fünf unterschiedliche Werkblöcke mit Hilfe der Integration des Betrachters in seine Werke. Die Rolle des „Ausführers“ übernimmt in diesem Fall ein Wrestler, der all jene Personen auf die Matte wirft, die es wagen, diese und die Galerie zu betreten. Die Kunst muss erkämpft werden, der Weg hin zu den Kunstwerken führt über das Sprichwort: „Sich aufs Kreuz legen lassen“. Waren es 1928 während einer großen Surrealismus Ausstellung in Paris Schaufensterpuppen, die den Weg zum Bild gesäumt haben, so ist es heute der schwergewichtige Kampfsportler, der den Pfad zu weiteren Aktionen verschließt, aber auch gleichzeitig durch eine andere Perspektive öffnet. Manfred Grübl wirft die gesamte Kultur- und Kunstgesellschaft zu Boden. Auf eine ganz unterschiedliche Art erkämpfen sich fünf Personen das Recht in orangen Regenmänteln gekleidet über den Roten Platz in Moskau zu gehen. Ein Ort voller Überwachungen. Nicht die Kamera des institutionellen Sicherheitspersonals eines Museums beobachtet das Geschehen, sondern die nationale Hochsicherheitsabteilung. Vier Minuten haben Manfred Grübl und seine Freunde Zeit mit ihren Regenmänteln zu demonstrieren und diese – angelehnt an militärische Uniformen – zu Zelten umzuwandeln. Danach wird dieser Spaziergang, der als bewusst gesetzte Aktion gedacht ist von der Polizei gestoppt. Hier reagiert nicht der einzelne Besucher der Galerie auf das von Grübl vorgegebene Konzept, sondern die politische öffentliche Hand. Und doch hat seine Aktion gezeigt, dass – auch wenn es nur vier Minuten waren – diese vermeintliche Sicherheit subversive zu untergraben ist. Sowohl die Polizisten als auch die Passanten sind Bestandteil der Dokumentation und werden unwissentlich zum Teil seines Kunstwerkes. Die männlichen Bewohner von Istanbul hingegen wissen von der Präsenz der Kamera. Auch hier hat die Arbeit – „vor allem Dank an die Fans ...“ – mit dem Menschen an sich zu tun. Bei einem Spaziergang durch Istanbul ist dem Künstler das gesellschaftliche Phänomen der Zugehörigkeit zu einem Fußballklub aufgefallen. Das öffentliche “Ja” zu einer Fußballgemeinschaft hängt nicht vom Alter ab, sehr wohl aber vom Geschlecht. U. a. Passanten, Verkäufer, Transporteure, Schüler verwenden den Schal ihres Klubs wie ein normales Kleidungsstück. Ein offenes Bekenntnis im Land des Fußballs. Gleichzeitig soll mit der Arbeit auch der Fokus auf die Frage der Fans in unserer Zeit gerichtet werden. Stars brauchen Einschaltquoten, Zuschauer und Menschenmassen. Alles Erscheinungen, um einen – in unserem Falle – Fußballspieler finanziell und gesellschaftlich absichern zu können. Die fotografierten türkischen Fans werden auf eine weitere Stufe gestellt: sie gehören nicht nur zum wichtigen Bestandteil eines Fußballspiels, sondern sie werden auch zum Mitspieler in der Kunst. Diese angesprochenen Personen machen einen für sie wichtigen Teil ihres Lebens öffentlich. Ganz im Gegensatz dazu steht die Anonymität der Großstadt wie etwa in Wien. Wie lebt unser Nachbar? Ist seine Wohnung gleich angeordnet wie unsere? Und wie hat er diese eingerichtet? Fragen, die oft unbeantwortet bleiben. Manfred Grübl lüftet dieses Geheimnis, indem er unterschiedliche Häuser „durchleuchtet“. Die Kamera bewegt sich von oben nach unten und durchdringt so Decken und Fußböden. Den Fokus richtet er auf die Frage des „Verdeckten“, denn während wir im Büro am Computer sitzen, hängen die Bewohner über uns ihre Wäsche auf und Passanten betreten unter uns die U-Bahn. Die einzige Arbeit, die in der Ausstellung ohne die Darstellung von Personen fungiert, wendet sich dem Thema des Raumes zu. Die Jalousien, die an der Decke angebracht sind, werden durch einen Bewegungsmelder ausgelöst und führen durch einen Computer gesteuert nach einem Zufallsprinzip Bewegungen aus. In Ruhe und Harmonie gleiten sich die einzelnen Lamellen auf und ab, kippen nach vor oder verschließen den Hintergrund. 40 Zentimeter von der Wand entfernt liefern sie so ein Spiel zwischen Betrachter und Raum sowohl vor als auch hinter den Jalousien. Die Frage des Verdeckten wird nur sporadisch gelüftet. Die Funktion liegt in der beweglichen Trennwand. Tiefe, Räumlichkeit und Ausblicke, werden in der Arbeit angesprochen, verneint und gleichzeitig auch offen gelegt. Manfred Grübls Kunst ist eine konzeptionelle. Das Ausdrucksmittel ist sehr oft die Kamera und der Raum. Fragen zur Kunst und ihre Beziehung zum Konsumenten sind die Hauptthemen in der Auseinandersetzung im Werk des Künstlers. Und doch sind die Arbeiten mehr als reine intellektuelle Spielfelder. Sehen wir eine Arbeit von Manfred Grübl zum ersten Mal, so werden Präzision, Ästhetik und Ruhe jene Komponenten sein, die sogleich auffallen. Seine Fotografien zu den Performances wirken auch ohne das Wissen des Konzepts, denn sie bestechen durch eine starke Aussagekraft in sich selbst. Brilliant konzipierte Arbeiten machen neugierig, neugierig auf die Idee, auf das Konzept und auf die intellektuellen Basis von Manfred Grübls Kunst, denn auch wenn einzelne Werkblöcke heiter wirken, steht doch immer wieder eine scharfe Kritik an Gesellschaft und Kunst hinter der Ausarbeitung.